Arbeiter-Zeitung (AZ)

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Nach Inkrafttreten des liberalen "Preßgesetzes" vom 18. Mai 1848 entstanden in ganz Österreich innerhalb kürzester Zeit mehr als 300 periodische Druckwerke, darunter 86 Tageszeitungen. Die wenigsten von ihnen überdauerten allerdings den Herbst des Jahres.

Die erste österreichische Arbeiterzeitung erschien bereits am 18. Mai unter dem Namen "Das Wiener allgemeine Arbeiter-Blatt". Die Redaktion befand sich am Kohlmarkt (damals Hausnummer 260, heute 8), der Leitartikel stammte vom Buchbindergesellen und "Redaktionsgehilfen" Friedrich Sander, der bescheiden mit "ein Gesell" zeichnete.

Direkte Vorgängerin der Arbeiter-Zeitung war jedoch die 1886 gegründete und von Victor Adler herausgegebenen Gleichheit, deren Redaktion und Verwaltung sich in der Gumpendorfer Straße 73 befand.

Nachdem das Blatt 1889 verboten wurde, gründete Adler ebendort die Arbeiter-Zeitung, die erstmals am 12. Juli 1889 erschien, zunächst zweimal im Monat, ab 18. Oktober 1889 wöchentlich, und ab 1. Januar 1895 täglich. Die letzten Finanzierungsprobleme konnten durch Vermittlung Friedrich Engels’, mit dem Adler in regem Kontakt stand, gelöst werden. Die Auflage lag bei etwa 15.000 und erreicht an Sonntagen bis zu 22.000 Exemplare.

Die Arbeiter-Zeitung war von Beginn an de facto und seit dem Parteitag 1894 auch offiziell das zentrale Organ der Partei, gedacht für den engeren Kreis der Mitglieder, für die vorgeschritteneren, politisch gebildeten Genossen, wie es der Administrator der Zeitung, Julius Popp, formulierte. 

Und in der Tat gab es noch genug Genossen, die sich anstatt der Arbeiter-Zeitung bürgerliche Schmierblätter kaufen, hieß es im Parteitagsprotokoll 1901, und am darauffolgenden Parteitag berichtete ein empörter Wiener Genosse, von 200 Mitgliedern einer Ortsgruppe seien nur 45 Abonnenten der Parteizeitung.
 

Die Druckerei, in der die Arbeiter-Zeitung ab der ersten Nummer bis zum Februar 1893 hergestellt wurde, befand sich anstelle des heutigen, 1910 neu errichteten Hauses Alserstraße 32 im 9. Bezirk.
Von 1893 bis zum 24. April 1900 wurde die Zeitung in der Universitätsstraße 6-8 gedruckt; die Redaktion und das Expedit befanden sich im Haus Schwarzspanierstraße 10 / Ferstelgasse 6. Die Zeitung hielt damals bei einer Auflage von etwa 24.000 Stück.

Ab 1909 wurde unter großen finanziellen Opfern das neue Parteihaus "Vorwärts" an der Rechten Wienzeile errichtet. Im Vorwärtsgebäude waren auch die Druckerei und der Verlag der Partei untergebracht, ab 20. Juli 1910 erschien die Arbeiter-Zeitung hier.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs beging die Arbeiter-Zeitung ihren historischen "Sündenfall". Am 5. August 1914 erschien der Leitartikel zum "Tag der deutschen Nation", in dem Chefredakteur Friedrich Austerlitz die Zustimmung der deutschen Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten überschwänglich begrüßte. Im Parteivorstand löste der Artikel erregte Debatten zwischen den "Parteilinken" um Friedrich Adler, Karl Seitz und Wilhelm Ellenbogen und den "Deutschnationalen" um Friedrich Austerlitz sowie den außenpolitischen Redakteur Karl Leuthner aus. 

Doch bereits im November 1914 machen sich in der Partei Ernüchterung und kritische Distanz breit und Austerlitz rechnete mit den "Kriegsgecken" ab. Während des Ersten Weltkriegs gab es zusätzlich zur Tageszeitung auch das Abendblatt "AZ am Abend".

In der Ersten Republik spielte die Arbeiter-Zeitung unter ihrem Chefredakteur Friedrich Austerlitz als das Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie eine bedeutende Rolle in der zunehmend heftiger werdenden politischen Auseinandersetzung; sie war – so der Autor Jacques HannakHerz, Hirn, Zentralnervensystem der gesamten Bewegung. 1930 betrug ihre Auflage 100.000 Stück. Nach Austerlitz' Tod 1931 übernahm Oscar Pollak den Posten des Chefredakteurs.

Die Arbeiter-Zeitung beschäftigte eine Reihe hervorragender Journalisten. Der begabteste Schreiber neben Austerlitz war wohl Max Winter, der Schöpfer der Sozialreportage. 1911 stieß Otto Bauer zur Arbeiter-Zeitung.

Engelbert Pernerstorfer, der Deutschnationalliberale und Freund Victor Adlers, übernahm 1897 die Leitung des Feuilletons. Ein weiterer Vertreter des "rechten Flügels" war der Redakteur für Außen- und Sozialpolitik, der Militärfachmann Karl Leuthner. Der spätere Bürgermeister Jakob Reumann arbeitete neben seiner politischen Tätigkeit als Redakteur für die Wiener Lokalangelegenheiten.

Erster Musikkritiker des Blattes war der Komponist des "Liedes der Arbeit" Josef Scheu, ein Bruder des im Exil lebenden Andreas Scheu. Ihm folgte in dieser Funktion David Josef Bach nach, der als Initiator der "Arbeiter-Symphoniekonzerte" und Leiter der Sozialdemokratischen Kunststelle in die Parteigeschichte einging.

Michael Schacherl, der Humorist der Arbeiter-Zeitung, schrieb immer sonntags unter dem Pseudonym Puck, und Emil Kralik, der Leiter des Lokalressorts, war der Schöpfer der nicht minder populären Kolumne Habakuk. Der junge Ernst Fischer beschäftigte sich vor allem mit Jugendfragen und fiel bereits früh als blendender Stilist auf. Otto Leichter war für Gewerkschafts- und Sozialfragen zuständig.

Die Arbeiter-Zeitung war auch die erste Zeitung mit einer regelmäßigen Kino-Rubrik: "Die Welt des Films", verfasst von Fritz Rosenfeld. Rosenfeld war ein gnadenloser Kritiker der parteieigenen Kino-Betriebsgesellschaft Kiba: Fast alle diese Kinos spielen nicht nur den üblichen Filmschund, sie spielen von diesem Schund noch das Schlechteste; […] sie spielen auch oft und oft Filme, die ihrer politischen Einstellung nach in Arbeiterkinos niemals gespielt werden dürften.

Am 12. Februar 1934 wurde die Arbeiter-Zeitung verboten; vom 25. Februar 1934 bis zum 15. März 1938 wurde im Exil in Brno/Brünn eine wöchentliche Ausgabe produziert und nach Österreich eingeschmuggelt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien die Arbeiter-Zeitung ab dem 5. August 1945 wieder als Parteizeitung der SPÖ und war bis 1955 mit einer Auflage von 245.000 Stück die größte Zeitung Österreichs.

Während der Besatzungszeit war die Arbeiter-Zeitung nicht nur die verlässliche Chronistin des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus – sie wurde als die Zeitung, die sich was traut berühmt, weil sie sich besonders für die Rechte der Österreicher gegenüber den Besatzungsmächten stark machte.

Während der großen Streikbewegung des Jahres 1950 bildete ihre Berichterstattung eine Speerspitze zur Unterstützung von Exekutive und ÖGB bei der Niederschlagung des "kommunistischen Putschversuchs".
Ende der 1950er Jahre schlitterte die Arbeiter-Zeitung jedoch durch das Aufkommen der Boulevardpresse in ihre erste Krise.

TF_Arbeiterzeitung_Angestellte_BO5_21961 kam es deshalb auch zu einem Wechsel an der Spitze: Franz Kreuzer sollte als neuer Chefredakteur das bereits etwas verstaubt wirkende Blatt modernisieren. Sichtbarstes äußeres Zeichen war die Veränderung des Titelkopfes – aus der "Arbeiter-Zeitung" wurde die "AZ".
 
Während der Ära Bruno Kreisky trat die Arbeiter-Zeitung für eine Öffnung und Erneuerung der Partei ein – und öffnete sich selbst: So etwa erregte das Engagement der "roten Gräfin" Barbara Coudenhove-Kalergi für das außenpolitische Ressort einiges Aufsehen.
 
Dennoch geriet das Blatt gerade in den Zeiten der größten SPÖ-Erfolge immer mehr in eine ökonomische Schieflage. Ende der 1970er Jahre wurde die AZ deswegen in eine neue Eigentümerstruktur – aber weiter in Parteibesitz – übergeführt und Albrecht K. Konecny als Herausgeber des Blattes berufen.
 
1984 übernahm die AZ die Herausgabe des "Salzburger Tagblatts", 1987 auch des "Oberösterreichischen Tagblatts" als regionale Mutationen. Der Auflagen- und Leserschwund konnte vorübergehend gestoppt werden; ab 1985 erschien die Zeitung im Kleinformat.

1986 übersiedelten Vorwärts-Verlag und Redaktion aus dem Traditionsgebäude an der Wienzeile in die Viehmarktgasse 4 im 3. Bezirk. Mit etwa 70.000 täglich verkauften Exemplaren lag die AZ jeweils knapp vor Konkurrenten wie der "Presse", und in der Reichweiten-Rangliste von Österreichs Tageszeitungen immer noch an vierter Stelle. Ökonomisch aber blieb die Zeitung durch das Ausbleiben relevanter Anzeigeneinnahmen in ständigen Kalamitäten.
 
TF_Arbeiterzeitung_LetzteAusgabe_VGANachdem SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky bereits Ende 1988 von Verkaufabsichten gesprochen hatte, ging das traditionsreiche Blatt im Herbst 1989 an die Birko-Holding des Werbeunternehmers Hans Schmid, der den Fernsehjournalisten Robert Hochner als Chefredakteur verpflichtete, aber schon ein Jahr später das defizitäre Blatt nicht mehr weiter finanzieren wollte.
 
Das große Engagement von Redaktion, LeserInnen und einigen größeren Unterstützern verlängerte den Überlebenskampf der AZ unter der Leitung von Peter Pelinka als letztem Chefredakteur noch um ein Jahr.
Am 31. Oktober 1991 musste die AZ ihr Erscheinen jedoch einstellen.

Bekannte Chefredakteure der Zeitung waren:

Friedrich Austerlitz (1895–1931)
Oscar Pollak (1931–1934 und 1945–1961)
Franz Kreuzer (1962–1967)
Paul Blau (1967–1970)
Manfred Scheuch (1970–1989)
Robert Hochner (1989–1990)

Im März 2004 wurden die Jahrgänge 1945 bis Ende März 1989 unter www.arbeiter-zeitung.at im Internet zugänglich gemacht.

2017/18 zeigte der Waschsalon Karl-Marx-Hof unter dem Titel "Presse und Proletariat" eine Sonderausstellung über die Sozialdemokratischen Zeitungen im Roten Wien.

Literatur: Gabriele Melischek und Josef Seethaler, Die Wiener Tageszeitungen, Band 3, 1992; Peter Pelinka und Manfred Scheuch, 100 Jahre AZ, 1989.