Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB)

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Nach den unerbittlich geführten Konflikten der Ersten Republik und dem Verbot der sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften durch die Austrofaschisten kam es erst in den Gefängnissen und der Illegalität während der nationalsozialistischen Herrschaft zur Begegnung und Aussöhnung der bis dahin Verfeindeten, die die Grundlage für die Schaffung einer einheitlichen demokratischen Gewerkschaftsorganisation nach Kriegsende bilden sollte.

Bereits am 15. April 1945 wurde in Wien der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) als demokratische Interessenvertretung österreichischer Arbeitnehmer mit freiwilliger Mitgliedschaft in Gestalt eines überparteilichen Vereins von ursprünglich 16 (seit 1978: 15, seit 1991: 14, gegenwärtig: 9) Einzelgewerkschaften gegründet. Am 30. April sprach eine Delegation bei der sowjetischen Militärkommandantur vor, um die formale Genehmigung zur Gründung des ÖGB einzuholen. Diese Genehmigung wurde noch am selben Tag erteilt, und damit wurde der Beschluss vom 15. April rechtskräftig.

Der ehemalige Leitende ÖGB-Sekretär Alfred Ströer erinnerte sich: Sehr wichtig für die Gründung des ÖGB waren die Kommunisten. Sie glaubten, dass sie bei den Nationalratswahlen 1945 ein Drittel der Stimmen erreichen werden, und empfahlen daher den russischen Besatzern die Zustimmung zur ÖGB-Gründung. Dass sie dann nur vier von 165 Mandaten erreichten, hat sie schwer enttäuscht. Aber da war der ÖGB nicht mehr aufzuhalten.

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Am 31. August 1945 zählte der ÖGB bereits 128.770 Mitglieder, Ende 1946 waren es knapp eine Million. Der ÖGB gewann allerdings nicht nur quantitativ an Bedeutung: durch die – nicht immer unumstrittene – Sozialpartnerschaft wuchs seit den 1950er Jahren der gewerkschaftliche Einfluss auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik, was u.a. in einer Ausweitung des Arbeits- und Sozialrechts seinen Niederschlag fand. Oft stellte der ÖGB auch den Sozialminister (Karl MaiselAnton ProkschRudolf HäuserAlfred DallingerJosef HesounRudolf Hundstorfer) oder andere Minister (Franz Olah, Harald Ettl).

Insgesamt waren bis in die 1980er Jahre etwa 60% der ArbeitnehmerInnen im ÖGB organisiert, 1993 waren es noch 52%. Bei steigender Zahl an ArbeitnehmerInnen wuchs zwar die absolute Zahl der Gewerkschaftsmitglieder bis zum Beginn der 1990er Jahre, allerdings ging der prozentuelle Anteil, teilweise bedingt durch die Krisensituation in bestimmten Branchen (Chemie, Metall, Druck und Papier, Textil), z.T. stark zurück.

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Höchste Instanzen des ÖGB sind der Bundeskongress, der vom Vorstand mindestens jedes 4. Jahr einberufen werden muss – zuletzt im Juni 2013 – und aus Vertretern der einzelnen Gewerkschaften besteht, sowie der Bundesvorstand, die Vorständekonferenz und die Kontrollkommission. Die laufenden Geschäfte erledigt ein Präsidium, das aus einem Präsidenten (1945–59 Johann Böhm, 1959–63 Franz Olah, 1963–87 Anton Benya, 1987–2006 Fritz Verzetnitsch, 2007–2008 Rudolf Hundstorfer, 2008–2018 Erich Foglar, seit 14. Juni 2018 Wolfgang Katzian), 6 Vizepräsidenten und den beiden Leitenden Sekretären besteht.

Die im ÖGB vertretenen Fraktionen (Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, FSG; Fraktion Christlicher Gewerkschafter, FCG; Freiheitliche Arbeitnehmer, FA; Gewerkschaftlicher Linksblock, GLB; Unabhängige Gewerkschafter, UG; Parteifreie Gewerkschaft, PFG) besitzen zumeist enge Bindungen zu den jeweiligen politischen Parteien. Die FSG ist die mit Abstand stärkste Fraktion.
 

TF_OeGB_Kreisky_Benya_Bundeskongress_OEGB_ArchivDer ÖGB besitzt und besaß einigen wirtschaftlichen Einfluss (BAWAG, über diese die RUEFA-Reisen; EDV GmbH zu 100%; Verlag des ÖGB GmbH, Elbemühl Druck und Verlag usw.), und nimmt starken Anteil an der Bildungspolitik (insbesonders im Bereich der Facharbeiterausbildung) und am kulturellen Geschehen. Die im Herbst 2005 virulent gewordene BAWAG-Affäre, die u.a. auch zum Rücktritt von ÖGB-Präsident Verzetnitsch führte, stürzte den Österreichischen Gewerkschaftsbund allerdings in die schwerste Krise seit seiner Gründung.

Ende 2006 musste die BAWAG deshalb an den US-Fonds Cerberus verkauft werden.

1., Ebendorferstraße 7 
Von der Gründung im Jahr 1920 bis zur Übersiedlung in die Prinz-Eugen-Straße hatte die Wiener Arbeiterkammer ihren Sitz in der Ebendorferstraße; am 19. April 1945 wurde hier das Provisorische Sekretariat der SPÖ eingerichtet. Vor der Übersiedlung auf den Johann-Böhm-Platz 1 im Jahr 2010 befand sich hier der Sitz der Gewerkschaft Bau-Holz.

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1., Hohenstaufengasse 10-12
Seit 1948 befand sich die Zentrale des ÖGB in diesem Haus, das im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört und danach wieder aufgebaut wurde. Nach dem BAWAG-Desaster wurden die Liegenschaften Hohenstaufengasse, Schottenring und Wipplinger Straße jedoch verkauft. Ende 2006 erfolgte der Umzug der ÖGB-Zentrale in die neue Adresse, 1., Laurenzerberg 2, im Jahr 2010 schließlich in 2., Johann-Böhm-Platz 1.

4., Plößlgasse 15
Das in den Jahren 1960 bis 1962 nach Plänen von Franz Mörth errichtete Haus ist der Sitz der Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung. Diese lange Zeit mächtigste Fachgewerkschaft geht auf einen 1869 gegründeten Fachverein der Waffenarbeiter Wiens zurück, dem bald weitere Vereine folgten. Nach der politischen Einigung auf dem Parteitag von Hainfeld setzten sich auch in der Gewerkschaftsbewegung die Einigungsbestrebungen durch. Vom 26.–28. Dezember 1890 wurde in Brünn der erste österreichische Eisen-, Metall- und Hüttenarbeiterkongress abgehalten. Im Januar 1892 wurde der Verband der Metallarbeiter Österreichs gegründet, dem sich 18 Vereine mit 8.500 Mitgliedern anschlossen. Die Gewerkschaft der Metaller zählte im Jahr 1919 bereits über 150.000 Mitglieder und war damit die weitaus größte Einzelgewerkschaft.

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Erst 1975 wurden die Metaller infolge der allgemeinen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse von der Gewerkschaft der Privatangestellten übertroffen. Die Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung zählt heute etwa 200.000 Mitglieder.

5., Margaretenstraße 166 
Das Eisenbahnerheim und das mittlerweile abgerissene Kongresshaus wurde im Auftrag des Vereins der Eisenbahner in den Jahren 1912/13 nach Plänen von Hubert Gessner errichtet.

Es wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, 1946 nach Plänen von Leopold Scheibl wiederaufgebaut und 1961 bis 1963 modernisiert. Es war bis März 2010 Sitz der Gewerkschaft der Eisenbahner und Schauplatz vieler wichtiger Tagungen der Arbeiterbewegung.

Literatur: Kurt Horak, 100 Jahre und kein bißchen leise, 1992; Fritz Klenner, Geschichte der österreichischen Gewerkschaften, 3 Bände, 1951-1979; ders., Hundert Jahre österreichische Gewerkschaften, 1981; ders., Die österreichischen Gewerkschaften, 3 Bd., 1994; Die österreichische Gewerkschaftsbewegung. Von den Anfängen bis 1999, 1999. Helmut Konrad (Hrsg.), "Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will", 1995; Johannes Kunz (Hrsg.), Anton Benya. Ansichten des Nationalrats- und ÖGB-Präsidenten, 1992; Anton Pelinka, Gewerkschaften im Parteienstaat. Ein Vergleich zwischen dem Deutschen und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, 1980.