8. bzw. 15. Dezember 1867

 

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Die März-Revolution von 1848 führte zur Entstehung erster Organisationen von Arbeitern, denen bewusst geworden war, dass nur die Anhebung ihres Bildungsstandes ihren politischen und kulturellen Aufstieg ermöglichen würde.

Auf Betreiben des Buchbindergesellen Friedrich Sander wird am 24. Juni 1848 der "Erste Allgemeine Arbeiterverein" im Gasthaus Fürstenhof, 3., Beatrixgasse 19, gegründet. Sein Programm lautet: Belehrung durch leichtfassliche Vorträge, Förderung der Bildung durch eine Bibliothek, Förderung der Geselligkeit durch einen Gesangsverein und Deklamationen. 

Vorbild für diesen Verein waren Einrichtungen der Arbeiterbildung, die es in England schon seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gab, sowie verschiedene deutsche Arbeiterbildungsvereine.

Mit der Einnahme Wiens im Oktober 1848 wird der Verein jedoch aufgelöst, ohne dass er überhaupt mit einer systematischen Bildungsarbeit beginnen hätte können.

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Zwei Jahrzehnte später sind es wiederum die Arbeiterbildungsvereine, die am Beginn der organisierten Arbeiterbewegung in Österreich stehen; sie verbinden Bildungsabsichten (Vorträge, Unterricht, Bibliotheken) mit geselligen (Gesang, Turnen etc.) und wirtschaftlichen Zielen (Kranken- und Invaliden-Unterstützungskassen). Am 8. bzw. 15. Dezember 1867 wird der Gumpendorfer Arbeiterbildungsverein gegründet, der zu dieser Zeit der aktivste Verein ist und bereits 1868 eine Kranken- und Invalidenkasse für seine Mitglieder einrichtet.

Die Arbeiterbildungsvereine verdanken ihre Gründung und materielle Förderung zunächst meist den Liberalen, doch entwickeln sie sich bald zu Basisorganisationen der Sozialdemokraten.

Natürlich verfolgen die Arbeiterbildungsvereine auch politische Zwecke, obwohl dies vereinsrechtlich zunächst verboten ist. In einer Note des Ministeriums für öffentliche Sicherheit und Landesverteidigung an das Ministerium für Inneres vom 2. Juli 1869 heißt es: Die Arbeiterbildungsvereine sind bei ihrer Gründung in den Jahren 1867 und 1868 mit Rücksicht auf den statutenmäßigen Vereinszweck der Verbreitung von Bildung und mittels derselben die Förderung der materiellen Interessen der Arbeiter als nicht politische Vereine behandelt worden. Die seitherige Erfahrung zeigt, dass diese Vereine [...] durchgehends den sozialdemokratischen Prinzipien Lassalles huldigen. Diese Prinzipien [...] sind im wesentlichen zweifellos politischer Natur; denn sie stellen die Selbsthilfe – insbesondere durch Gründung von Produktivassoziationen auf Staatskosten –, das allgemeine Wahlrecht und in erster Linie die Gründung der sozialdemokratischen Republik als die auf dem Wege der Agitation anzustrebenden Ziele auf und verfolgen damit unzweifelbar politische Zwecke [...] In diesem Sinne ist bereits [...] die Bildung sozialdemokratischer Arbeitervereine als staatsgefährlich untersagt ... worden [...]. 

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Ideologisch orientieren sich diese Vereine an den deutschen Sozialdemokraten, sympathisieren mit der Ersten Arbeiterinternationale von 1864 und bieten so den Behörden den Vorwand zum Verbot.

1870 wird gegen Exponenten des Wiener Vereins – unter anderem Heinrich Oberwinder und Andreas Scheu – ein Hochverratsprozess angestrengt, was zu stürmischen Straßenkundgebungen führt. Im gleichen Jahr beschließt der Reichsrat jedoch ein Koalitionsgesetz, das den Arbeitern in weiterer Folge die Bildung von politischen Vereinen ermöglicht.
1872 gibt es bereits 59 Arbeiterbildungsvereine und 78 Gewerkschaftsvereine mit zusammen etwa 80.000 Mitgliedern.

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Nach dem Hainfelder Parteitag 1888/89 werden die Arbeiterbildungsvereine von den gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen der einzelnen Berufsgruppen zurückgedrängt, die ebenfalls "Vermittlung von Wissen, Aufklärung und Bildung" zu ihren Aufgaben erklären.

Die 1908 begonnene Zusammenarbeit der beiden zunächst konkurrierenden Organisationen im "Unterrichtsausschuss der Wiener Arbeiterorganisationen" leitet die volle Eingliederung der Arbeiterbildungsvereine in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) ein.