Der Wahlkampf des Jahres 1970 steht ganz im Zeichen der Rolle der FPÖ, die sich gegen die ÖVP-Alleinregierung, aber auch gegen einen möglichen "roten Kanzler" wendet.
Bei der Wahl am 1. März 1970 wird die SPÖ erstmals stärkste Partei (SPÖ 81, ÖVP 79, FPÖ 5 Mandate). Bundespräsident Franz Jonas betraut Bruno Kreisky mit der Bildung einer Koalitionsregierung. Die FPÖ unter Friedrich Peter erklärt, mit keiner der beiden großen Parteien eine Koalition eingehen zu wollen.
Die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP beginnen erst nach der steirischen Landtagswahl vom 15. März, bei der die ÖVP ebenfalls ihre absolute Mehrheit verliert. Am 14. April werden die Regierungsverhandlungen jedoch abgebrochen, da sich die beiden Parteien nicht über die Ressortverteilung einigen können.
Nach dem endgültigen Scheitern legt Kreisky dem Bundespräsidenten am 20. April den Vorschlag einer SPÖ-Minderheitsregierung vor. Tags darauf bildet Bruno Kreisky sein erstes Kabinett – mit Leopold Gratz als Unterrichts-, Hannes Androsch als Finanz- und – ab dem 24. Juli – Hertha Firnberg als Wissenschaftsministerin.
Im November beschließt der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ die sogenannte "Kleine Wahlrechtsreform", durch die die Anzahl der Abgeordneten auf 183 erhöht und die Anzahl der Wahlkreise von 25 auf 9 abgesenkt wird – ein Vorteil für kleinere wahlwerbende Parteien.
Nach der Wiederwahl von Bundespräsident Franz Jonas am 25. April 1971 beantragt die SPÖ im Juli die vorzeitige Auflösung des Parlaments. Am 14. Juli beschließt der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ seine Auflösung. Tags darauf wird die Wehrgesetznovelle mit der Absenkung des Wehrdienstes auf 6 Monate angenommen.
Bei der vorgezogenen Nationalratwahl am 10. Oktober 1971 erringt die SPÖ zum ersten Mal die absolute Mehrheit (SPÖ 93, ÖVP 80, FPÖ 10 Mandate), die 1975 und 1979 unter dem neuen Slogan "Kreisky – wer sonst?" noch ausgebaut wird. Das Reformwerk der Ära Kreisky kann beginnen.
Kreisky öffnet die Partei gegenüber bürgerlichen Wählern, pflegt einen intensiven und versöhnlichen Dialog mit der katholischen Kirche, findet mit seinem liberalen Kulturverständnis Unterstützung bei Intellektuellen und Künstlern und macht die SPÖ zur erfolgreichsten sozialdemokratischen Partei Westeuropas.
Besonders medienwirksam ist der wegen seiner guten Kontakte zur Presse als "Medienkanzler" titulierte Kreisky in den gerade aufkommenden Fernseh-Livediskussionen.
Kreiskys Kanzlerschaft ist besonders in den Jahren 1972 bis 1976 durch weitreichende Reformen (Ausbau des Sozialstaats, Einführung des Karenzgeldes, des Mutter-Kind-Passes und der Geburtenbeihilfe, Familienrechtsreform, große Strafrechtsreform und Einführung der Fristenlösung trotz massiver Widerstände, Reform des Bildungswesens, Schülerfreifahrt und Gratisschulbuch, Abschaffung der Hochschultaxen und Demokratisierung der Universitäten, Einführung des Zivildienstes, Herabsetzung des Wahlalters etc.) und vielbeachtete außenpolitische Initiativen (v.a. im Nahen Osten) gekennzeichnet, die Österreich eine bis dahin nicht gekannte internationale Anerkennung einbringen.
Als "Krönung" dieser neuen Rolle wird Wien mit der UNO-City im August 1979 neben New York und Genf zum damals dritten Sitz der Vereinten Nationen.