Gewerkschaften

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Vorläufer der heutigen Gewerkschaften waren die seit dem 15. Jahrhundert nachweisbaren Bruderschaften von Handwerksgesellen, die Baubruderschaften der Maurer und Zimmerer, die Bauhütten der Steinmetze und die Gewerksvereine der Bergknappen.

Als spätere Selbsthilfeorganisationen sind auch die Hilfsvereine in den merkantilistischen Manufakturen des 17. und 18. Jahrhunderts zu nennen. Nach einem Aufstand der Schuhknechte im Jahr 1722 wurden jedoch alle Bruderschaften und Gesellenvereine aufgelöst. Lohnkämpfe und Streiks zählten noch zur Zeit Kaiserin Maria Theresias zu den todeswürdigen "Halsverbrechen", und auch im Strafgesetzbuch von 1803 wurde die Vereinigung von Handwerksgesellen mit drakonischen Zuchthausstrafen geahndet.

Im frühen 19. Jahrhundert, der Ära der beginnenden Industrialisierung, kam es vereinzelt zur Errichtung von Fabriks-, Kranken- und Sterbekassen, und während der kurzen Freiheitsperiode von 1848 entstanden schließlich die ersten politischen Arbeitervereine.

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Die Bildung echter Interessensvereinigungen ermöglichten erst das Staatsgrundgesetz von 1867 und das Koalitionsgesetz von 1870 – beide eine direkte Folge der österreichischen Niederlage im Krieg gegen Preußen (1866) und der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und innenpolitischen Probleme.

Die unverfänglichste Organisationsform war zunächst die des Arbeiterbildungsvereins; aus den verschiedenen "Fachsektionen" dieser Bildungsvereine gingen schließlich die ersten wirklichen Gewerkschaftsvereine hervor, die sich, trotz weiterhin bestehender behördlicher Schikanen, rasant entwickelten.

1873 waren in den heutigen österreichischen Bundesländern bereits 150 einschlägige Vereine mit ca. 52.000 Mitgliedern registriert, etwa 70% davon in Wien. Zur geringen Freude der Obrigkeit begannen diese Gewerkschaftsvereine bald wirtschaftliche und sozialpolitische Forderungen zu stellen – wie die Einführung des Zehnstundentages (!), die Einschränkung der Kinder- und Frauenarbeit sowie der Nachtarbeitszeiten, die Errichtung von Arbeiterkammern, Fabriksinspektoraten und eigenen Krankenkassen...

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Während sich die politische Organisation der Arbeiterbewegung auf dem Parteitag von Hainfeld in Gestalt der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei formierte, ließ die Gründung einer landesweiten Gewerkschaftsorganisation noch einige Jahre auf sich warten.

Am 13. Oktober 1892 bildeten 194 "freie", der Sozialdemokratie nahestehende Fachvereine die "Provisorische Kommission der Gewerkschaften Österreichs", die im Jahr darauf, vom 24. bis 27. Dezember 1893, ihren ersten Gewerkschaftstag abhielt. Die insgesamt 270 Delegierten vertraten 69 Vereine aus Wien und 125 aus den Kronländern.

In weiterer Folge entstanden auch die übrigen "Richtungsgewerkschaften", seit etwa 1890 christliche, nach 1900 auch deutschnationale Organisationen. Die sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften waren die mit Abstand größte Gewerkschaftsorganisation und umfassten mehr als zwei Drittel der organisierten Arbeitnehmer; 1896 waren das etwa 133.000 Arbeiter, davon 5.000 Frauen. Noch wiesen die einzelnen Berufsgruppen allerdings einen höchst unterschiedlichen Organisationsgrad auf; am besten organisiert waren in der Frühzeit die Buchdrucker, Lithographen und Bauarbeiter.

Literatur: Julius Deutsch, Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Die sozialistischen Gewerkschaften von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, 1908; Franz Hemala, Geschichte der Gewerkschaften, 1922; Fritz Klenner, Die österreichischen Gewerkschaften, 1967.