Am 3. Mai 1893 kam es in Wien zum ersten organisierten Frauenstreik durch Arbeiterinnen von Appreturfabriken (Appretur bezeichnet die veredelnde Behandlung von Textilien) in Gumpendorf. Der dreiwöchige Arbeitsausstand ging als "Streik der 700" in die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung ein. Amalie Seidel, neben Adelheid Popp eine der Anführerinnen des Streiks, schilderte die Vorgeschichte später folgendermaßen:
Damals, im Jahre 1892, als ich mit sechzehn Jahren in eine Appreturfabrik kam, war die Arbeitszeit von sechs Uhr früh bis sieben Uhr abends die Regel. Die Arbeiterinnen waren gar nicht organisiert und ließen sich mit Löhnen von 1 Kr. bis Kr. 1,50 abfertigen. Man kann sich vorstellen, auf welcher Höhe die Lebenshaltung der Arbeiterinnen stand. Im Jahre 1892 arbeitete ich in einer Fabrik, wo ungefähr 300 Arbeiter und Frauen beschäftigt waren, von denen die allermeisten nicht mehr als 7 Kr. verdienten. War doch eine der Forderungen, die bei dem folgenden Streik erhoben wurden, die Bezahlung eines Wochenlohnes von 8 Kr. ...
Trotzdem von einer Organisation keine Rede war, gelang es mir doch, den Kolleginnen den Wert der Maifeier begreiflich zu machen und wir erlangten die Freigabe des 1. Mai. Natürlich war der Verlauf der Maifeier am anderen Tag der einzige Gesprächsstoff in der Fabrik und ich bemühte mich während der Jausenpause in einem großen Fabriksaal zu beweisen, dass bei entsprechender Organisation auch wir in der Fabrik unsere Verhältnisse verbessern könnten. Im Laufe der Rede (...) bemerkten wir alle nicht, dass auch der Chef der Fabrik vielleicht schon einige Minuten zugehört hatte. Selbstverständlich folgte die Strafe, respektive die Entlassung... (Adelheid Popp [Hrsg.], Gedenkbuch zwanzig Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung, 1912).
Seidels Kolleginnen waren jedoch nicht bereit, ihre Entlassung hinzunehmen und trugen am nächsten Tag der Fabriksleitung ihre Forderungen nach einer Verkürzung der Arbeitszeit von zwölf auf zehn Stunden und der Wiedereinstellung Seidels vor. Als diese Anliegen abgelehnt wurden, verließen die Arbeiterinnen geschlossen die Fabrik. Am Nachmittag kam es zu einer Versammlung auf der Ferdinandswiese in Meidling.
Nach einigen Tagen hatten sich bereits 700 Frauen und Mädchen aus insgesamt drei Appreturfabriken dem Streik angeschlossen, der auch in der damaligen Presse ziemliches Aufsehen erregte. Der bürgerlichen Presse galt es als ein Skandal, dass nun auch die Arbeiterinnen "aufgehetzt" würden. Es kam zu Auseinandersetzungen mit den Behörden und einige Ausgaben der Arbeiter-Zeitung wurden sogar zensuriert. Eine Ausgabe der Arbeiterinnen-Zeitung erschien deshalb publikumswirksam mit leeren Seiten.
Nach dreiwöchiger Dauer und zahlreichen Solidaritätsbekundungen wurden die Forderungen der Streikenden schließlich angenommen: Zehnstündige Arbeitszeit, Bezahlung eines Minimallohnes von 8 Kr. wöchentlich, Freigabe des 1. Mai und die Wiedereinstellung von Amalie Seidel.