Die Partei hat mich nie enttäuscht.
Amalie Ryba, die Tochter eines Schlossers, musste schon im Alter von 12 Jahren die Bürgerschule verlassen, um als Dienstmädchen zum Lebensunterhalt ihrer Familie beizutragen. Mit 16 Jahren trat sie dem Gumpendorfer Arbeiterbildungsverein bei, wo sie bald als begabte Rednerin auffiel.
Bei einer Frauenversammlung im Jahr 1893 sagt sie: Wir müssen vom 14. Jahr an in den Fabriken arbeiten und unsere Arbeit baut den Reichtum unserer Ausbeuter auf. Sind wir reif genug, uns mit 14 Jahren ausbeuten zu lassen, werden wir wohl mit 20 wenigstens imstande sein, unsere Interessen zu wahren. Jedenfalls werden wir sie besser wahren als die Herren, die heute im Parlament sitzen. Bald darauf war sie führend am Streik der 700, dem ersten erfolgreichen Frauenstreik Österreichs, beteiligt.
Im selben Jahr wurde das politische Weib wegen zu temperamentvoller Teilnahme an einer Wahlrechtskundgebung zu einer dreiwöchigen Arreststrafe verurteilt. Victor Adler, der während des Streiks auf sie aufmerksam geworden war, sagte: Reden können Sie ja, aber Wissen und Kenntnisse muss man Ihnen beibringen. Sie engagierte sich in der Frauenbewegung, wurde Schriftführerin des Lese-und Diskutierclubs Libertas und heiratete 1895 den Konstrukteur Richard Seidel.
Nachdem sie sich einige Jahre der Familie gewidmet hatte, nahm Amalie Seidel im Jahr 1900 als Vorsitzende des Frauenbezirkskomitees ihre Parteiarbeit wieder auf. Zwei Jahre später wurde sie Vorsitzende des Frauenreichskomitees; in dieser Funktion setzte sie sich energisch für die Emanzipation der Frauen ein. Seidel, die der Konstituierenden Nationalversammlung und dem Nationalrat von 1919 bis 1934 angehörte, war von 1918 bis 1923 auch Mitglied des Gemeinderates und 1919/20 Stadträtin für Jugendfürsorge und Gesundheitswesen. Von 1920 bis 1923 arbeitete sie mit Julius Tandler in der Verwaltungsgruppe III "Wohlfahrtseinrichtungen, Jugendfürsorge und Gesundheitswesen".
Amalie Seidel wurde 1934 verhaftet und verbrachte einen Monat im Gefängnis. In der Zeit des Austrofaschismus war ihre Wohnung Schauplatz von wöchentlichen Treffen sozialistischer Aktivistinnen. Noch vor Hitlers Einmarsch in Österreich heiratete die mittlerweile längst Geschiedene ihren langjährigen jüdischen Freund Sigmund Rausnitz, um ihn durch diese Ehe zu schützen. Rausnitz war von 1919 bis 1934 Mandatar im Wiener Gemeinderat, Lektor an der Arbeiterhochschule und Sekretär des Zentralverbandes der Konsumvereine Österreichs. Im April 1942 verübte er jedoch Selbstmord. Amalie Seidels Töchter Emma, die mit Karl Seitz zusammenlebte, und Olga verließen Österreich.
Nach dem Krieg kehrten Emma und Karl Seitz, der im KZ-Ravensbrück inhaftiert gewesen war, nach Wien zurück. Sie heirateten, und Amalie Seidel lebte ab diesem Zeitpunkt bei ihnen.
Der Amalie-Seidel-Weg im 12. Bezirk wurde 2006 nach der Vorkämpferin für die Rechte der Frauen benannt.
Literatur: Edith Probst (Hrsg.), "Die Partei hat mich nie enttäuscht
", Österreichische Sozialdemokratinnen, 1989.
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