
Nachdem die Erste Internationale an ihren inneren Gegensätzen gescheitert war, wurde am 14. Juli 1889 in Paris die Zweite Internationale als Vereinigung selbständiger sozialistischer Parteien gegründet. Am Gründungskongress nahmen 400 Delegierte aus 21 europäischen Ländern sowie den USA und Ägypten teil. Die siebenköpfige österreichische Delegation wurde von Victor Adler angeführt.

So schrieb die "Neue Freie Presse" am 1. Mai 1890 im Leitartikel: Die Soldaten sind in Bereitschaft, die Tore der Häuser werden geschlossen, in den Wohnungen wird Proviant vorbereitet wie vor einer Belagerung, die Geschäfte sind verödet, Frauen und Kinder wagen sich nicht auf die Gasse.

Victor Adler selbst erlebte diesen Tag in der Zelle 32 des Wiener Landesgerichts. Er war am 27. Juni 1889 wegen "anarchistischer Bestrebungen" zu vier Monaten Haft verurteilt worden und musste diese Strafe kurz vor dem 1. Mai 1890 antreten.
Offenbar hatte die Regierung gehofft, mit der Inhaftierung Adlers die Vorbereitungen für den 1. Mai stören zu können. Diese Hoffnung ging allerdings nicht in Erfüllung.
Der gelernte Bildhauergehilfe Ludwig Bretschneider, den Adler bei der Gründung der Zeitung Gleichheit als Redakteur und Verwalter geholt hatte, übernahm die Leitung des Organisationskomitees für die Maikundgebung, die dann ohne ernsten Zwischenfall verlief.
Der 1. Mai 1890 bewies, dass es der SDAP in unglaublich kurzer Zeit, knapp mehr als ein Jahr nach ihrer Gründung, gelungen war, die Arbeiter zu organisieren und zu mobilisieren.

Der Weltkrieg unterbrach die Tradition der Maifeier. Als die Sozialdemokratie ihre betont nationale Haltung überwunden hatte, stellte sie am 1. Mai 1917 und 1918 ihre Friedensvorstellungen den Kriegszielen der Regierung gegenüber.
Die neue staatspolitische Bedeutung der Sozialdemokratie fand im Beschluss des Nationalrats vom 25. April 1919 ihren Ausdruck, mit dem der 1. Mai zum Staatsfeiertag erklärt wurde.
Die Sozialdemokratische Kulturstelle veranstaltete in den Theatern und Konzertsälen Wiens klassische und moderne Aufführungen für Wiens Arbeiterschaft. Die Maiumzüge fanden dezentral in den Bezirken statt. Erst am 1. Mai 1921 zog die Arbeiterschaft wieder gemeinsam durch Wien. Analog zur Vorkriegszeit bewegte sich der Zug über die Ringstraße in den Prater. Im Jahr darauf fand die Maifeier erstmals mit einer Versammlung vor dem Rathaus statt.
Der Fackelzug der Arbeiterjugend wurde erstmals am Vorabend des 1. Mai 1926 abgehalten. Die Bezirkszüge trafen einander am Rathausplatz; von dort ging es über die Ringstraße zur Abschlusskundgebung am Karlsplatz, wo Julius Deutsch, Manfred Ackermann und Anton Proksch Ansprachen hielten.
Der Maiaufmarsch in seiner heutigen Form geht auf das Jahr 1929 zurück; in zwei Zügen marschierten die Demonstranten am Rathaus vorbei. Sportereignisse trugen zum festlichen Charakter bei: Arbeiterfußballturniere und ein Schwimmmeeting im neuen Amalienbad wurden zur Tradition. Nach seiner Eröffnung wurde das Praterstadion 1932 Heimstatt des großen Sportfestes.
Demonstrierte man Mitte der 1920er Jahre für die Verteidigung der sozialen Errungenschaften, so standen bald die Solidarität mit den Arbeitslosen und der Kampf gegen den Faschismus im Vordergrund.

Während im Westen noch gekämpft wurde, war der 1. Mai 1945 in Wien Anlass zu den ersten politischen Kundgebungen der Zweiten Republik. In Wien wurden Aufmärsche und Kundgebungen in den Bezirken organisiert, oft unter Beteiligung von Kommunisten und Vertretern der ÖVP.
Den 1. Mai 1946 feierte die Wiener SPÖ wieder auf traditionelle Weise. 200.000 Menschen marschierten am Rathaus vorbei. Bei der Kundgebung sprachen u.a. Adolf Schärf, Paul Speiser und Oskar Helmer.
1947 fand auch wieder der Fackelzug der SJ statt sowie ein Sportfest im Stadion.
Eine wesentliche Konstante blieb bestehen: die Bewegung präsentierte am 1. Mai ihre Forderungen – und sich selbst. Dazu gehörte nach 1945 auch die klare Distanzierung von der KPÖ und den Ereignissen in Osteuropa.
1980 wurde gegen das sinnlose Wettrüsten der Supermächte und für den Frieden demonstriert.
Statt der traditionellen Maifeier fand am 1. Mai 1981 eine Trauerkundgebung statt, nachdem am Morgen Heinz Nittel von radikalen Palästinensern ermordet worden war. Die Fahnen der Bezirkszüge blieben an diesem Tag eingerollt.
Breiten Raum nimmt auch das Bekenntnis zur internationalen Solidarität mit der Dritten Welt und der Kampf gegen Diktatur und Faschismus ein.
Die Straße des Ersten Mai (im Prater) ist nach dem Arbeiterfeiertag benannt.
Literatur: Wolfgang Maderthaner, Michaela Maier (Hrsg.), Acht Stunden aber wollen wir Mensch sein. Der 1. Mai. Geschichte und Geschichten, 2010; Harald Troch, Rebellensonntag, 1991.