Des Menschen Gemüt ist sein Geschick.
Ferdinand Lassalle, der aus einem jüdischen Elternhaus stammte, studierte von 1842 bis 1846 Geschichte und Philosophie in Breslau und Berlin. Er beschäftigte sich schon früh mit sozialen Fragen und entwickelte ein sozialistisches Programm, das auf den Analysen des kapitalistischen Lohnsystems basierte. Sein "ehernes Lohngesetz" sollte den Arbeitnehmern einen existentiell ausreichenden Verdienst garantieren.
Anfangs ein Mitarbeiter bei der "Neuen Rheinischen Zeitung" von Karl Marx, als dessen Schüler er sich betrachtete, geriet Lassalle später in immer deutlicheren Gegensatz zum Marxismus.
Lassalle vertrat die Ansicht, in der gegebenen Situation gelte es, innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung Reformen durchzusetzen und staatliche Hilfe für die Arbeiterklasse zu erreichen. In diesem Zusammenhang bejahte Lassalle sogar ein sozial und demokratisch ausgerichtetes Königtum.
Der Weg zu einer grundlegenden Reform der gesamten Gesellschaft sollte nach Lassalles Ansicht über die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts führen, das den Arbeitern den notwendigen Einfluss auf den Staat sichern würde. In der Einführung von Produktionsgenossenschaften sah Lassalle eine Möglichkeit, das kapitalistische System mit der Zeit abzuschaffen. Gerade mit seinen reformistischen Auffassungen übte Lassalle auch großen Einfluss auf die österreichische Arbeiterbewegung aus.
Organisieren Sie sich als allgemeiner deutscher Arbeiterverein zu dem Zweck einer gesetzlichen und friedlichen, aber unermüdlichen Agitation für die Einführung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts! forderte Lassalle 1863 von den Mitgliedern des Leipziger Arbeiterkomitees. Zwei Monate später, am 23. Mai 1863, wurde der "Allgemeine Deutsche Arbeiterverein", aus dem später die SPD hervorging, mit Lassalle als Präsidenten gegründet. Doch das erhoffte Arbeiterheer ließ sich nicht so rasch und einfach organisieren; nach einem Vierteljahr zählte der Verein kaum 1.000 Mitglieder.
Ferdinand Lassalle starb erst 39jährig durch eine Schussverletzung, die er in einem Duell mit dem früheren Verlobten seiner Geliebten erlitten hatte, und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Breslau begraben. Er starb jung – im Triumph – ein Achilles, schrieb Karl Marx aus Anlass seines Todes.
Seit 1919 heißt die frühere "Kronprinz-Rudolf-Straße" in der Leopoldstadt Lassallestraße (1934 bis 1949: "Reichsbrückenstraße"). Der in den Jahren 1924–26 nach Plänen der Architekten Hubert Gessner, Hans Paar, Fritz Schlossberg und Fritz Waage errichtete Lassallehof, 2., Lassallestraße 40-44, wurde ebenfalls nach Ferdinand Lassalle benannt.
Das Denkmal für Ferdinand Lassalle von Mario Petrucci (1928), bestehend aus einem Obelisken mit Bronzekopf, befand sich einst beim Winarskyhof und wurde von den Austrofaschisten zerstört. Die Nachbildung der Büste, die sich beim Alfred-Porges-Hof, 6., Gumpendorfer Straße 62 befand, wurde nach ihrer Restaurierung in der Dauerausstellung Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof neu aufgestellt.
Werk: Die Wissenschaft und die Arbeiter, 1863; Briefe von Ferdinand Lassalle an Karl Marx und Friedrich Engels, 1902; Gesammelte Reden und Schriften, 12 Bde., hrsg. und eingeleitet von Eduard Bernstein, 1919/20; Ferdinand Lassalles Tagebuch, 1926.
Literatur: Bert Andréas, Ferdinand Lassalle – Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein: Bibliographie ihrer Schriften und der Literatur über sie, 1981; Bernhard Becker, Geschichte der Arbeiteragitation Ferdinand Lassalle's nach authentischen Aktenstücken, 1978; Hans Peter Bleuel, Ferdinand Lassalle oder der Kampf wider die verdammte Bedürfnislosigkeit, 1982; Frank Como, Die Diktatur der Einsicht: Ferdinand Lassalle und die Rhetorik des deutschen Sozialismus, 1991; Hans Jürgen Friederici, Ferdinand Lassalle: eine politische Biographie, 1985; Thilo Ramm, Ferdinand Lassalle: der Revolutionär und das Recht, 2004.