Emigration

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Die frühe Geschichte der Sozialdemokratie ist auch eine Geschichte der Verfolgung und der erzwungenen Emigration. Bereits die Niederschlagung der Revolution von 1848 zwang viele ihrer Führer ins Ausland.

Nach den Februarkämpfen von 1934 mussten zahlreiche führende Sozialdemokraten, allen voran die Funktionäre des Schutzbundes, Österreich verlassen; viele flüchteten in die benachbarte Tschechoslowakei, später weiter nach Frankreich und in die USA; nicht wenige schlossen sich dem Kampf der spanischen Republikaner gegen den Faschismus an, andere gingen in die Sowjetunion und hier einem ungewissen Schicksal entgegen.

Der Hauptstrom von Emigranten aus Österreich erfolgte 1938/39 als Folge des "Anschlusses" an Deutschland. In erster Linie mussten die nach den "Nürnberger Gesetzen" von 1935 deklarierten Juden das Land verlassen, aber auch politische und weltanschauliche Gegner des Nationalsozialismus, darunter zahlreiche Sozialdemokraten und Kommunisten. Österreichische Emigranten waren praktisch über die ganze Erde verstreut – bis nach China –, Hauptziele waren jedoch die Schweiz, Frankreich, Großbritannien, die USA und Südamerika.

Aufgrund der stark divergierenden politischen und ideologischen Herkunft der Emigranten – auch innerhalb der Sozialdemokratie traten nicht wenige gegen die Wiedererrichtung des österreichischen Staates ein – kam eine gemeinsame politische Exilorganisation nicht zustande.

Anfang der 1940er Jahre entstand in England das "Free Austrian Movement", das immerhin 38 verschiedene Gruppen mit rund 7.000 Mitgliedern umfasste, und in den USA bildete sich das "Austrian National Committee". Eigene militärische Einheiten entstanden nur im Rahmen der jugoslawischen Partisanenarmee; allerdings kehrten nicht wenige Emigranten 1945/46 im Dienst der Armee einer der Besatzungsmächte nach Österreich zurück.

Unter den Emigranten befanden sich nahezu alle bedeutenden österreichischen Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Intellektuellen. Die Republik Österreich – und auch die Sozialdemokratie – haben sich nach 1945 nicht ausreichend um die Rückkehr dieser Emigranten bemüht, so dass der enorme geistige Aderlass bis heute nachwirkt.

Literatur: Evelyn Adunka und Peter Roessler (Hrsg.), Die Rezeption des Exils. Geschichte und Perspektiven der österreichischen Exilforschung, 2003; Edith Blaschitz, Auswanderer, Emigranten, Exilanten – Die österreichische Kolonie in Buenos Aires, 1992; Alisa Douer (Hrsg.), Wie weit ist Wien: Lateinamerika als Exil für österreichische Schriftsteller und Künstler, 1995; Gottfried Ellmauer, Rückkehr unerwünscht. Remigration in Österreich nach 1945?, 1992; Renate Feikes, Emigration jüdischer Wiener Ärzte ab 1938 in die USA, speziell nach New York, 1999; Franz Goldner, Die österreichische Emigration, 1979; Traude Horvath (Hrsg.), Auswanderungen aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, 1996; Barry McLoughlin, Österreicher im Exil, 1999; Friedrich Stadler (Hrsg.), Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, 2004; Edward Timms und Ritchie Robertson (Hrsg.), Austrian exodus, 1995; Vertreibung des Geistigen aus Österreich, hrsg. Zentralsparkasse und Kommerzialbank Wien, 1985; Adi Wimmer (Hrsg.), Die Heimat wurde ihnen fremd, die Fremde nicht zur Heimat. Erinnerungen österreichischer Juden aus dem Exil, 1993.