Mit einer Serie von Prozessen beabsichtigte das austrofaschistische Regime in den Jahren 1935 und 1936, den Organisationsapparat der im Untergrund agierenden Revolutionären Sozialisten (RS) zu zerschlagen.
Den Höhepunkt dieser Verfolgungswelle bildete der sogenannte "Große Sozialistenprozess", der am 16. März 1936 begann, und in dem 28 Angeklagte, also praktisch der gesamte Führungskader der RS, vor Gericht standen; verhandelt wurde über den Anklagepunkt "Hochverrat", auf den explizit die Todesstrafe stand.
Angeklagt waren u.a. Karl Hans Sailer, Maria Emhart, Franz Rauscher, Roman Felleis, Otto Probst, Anton Proksch, Josef Wacke, Bruno Kreisky und Franz Jonas.
Besonders eindrucksvoll, weil menschlich großartig, war die Rede der Textilarbeiterin Marie Emhart, schreibt Bruno Kreisky, der selbst beim Prozess die politisch bemerkenswerteste Verteidigungsrede hielt, in seinen Memoiren und zitiert: Ich stamme aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie und habe alle Not und Entbehrung mitgemacht, die man mitmachen muss, wenn man so tief unten zur Welt kommt wie ich. Und: Sie fühle sich im Sinne des Gesetzes nicht schuldig, denn: Wir Sozialisten haben uns nicht selbst vom Boden der Legalität entfernt, sondern wurden in die Illegalität gedrängt.
Einer der Verteidiger war der später in Auschwitz ermordete Rechtsanwalt Heinrich Steinitz. Sein Schlussplädoyer ist mutig, scharfsichtig und geradezu prophetisch: Es wäre für den Staat zu wünschen, wenn man sich klar machen würde, dass es vielleicht besser ist, statt Hochverratsklage zu erheben, wenn der Klasse, zu der sie sich bekennen, der Idee, der sie huldigen, das gegeben wird, was dieser Klasse und dieser Idee ohne Gefahr für den Staat und vielleicht zum Segen für den Staat gegeben werden kann. Sie haben sich verpflichtet gehalten, die Idee ihrer Partei hochzuhalten für den historisch geglaubten Zeitpunkt. Die Stunde, in der wir sprechen, ist eine der ernstesten der Weltpolitik. Von heute auf morgen können über Europa Ereignisse hereinbrechen, die das ganze Ergebnis dieses Prozesses über den Haufen werfen. Die Angeklagten haben erklärt, dass sie den Kampf geführt haben, weil sie überzeugt sind, dass die Arbeiterklasse die stärkste Gewähr für die Unabhängigkeit Österreichs und damit für den europäischen Frieden ist.
Da der Prozess auch im Ausland großes Aufsehen erregte, fielen die Strafen am 24. März schließlich deutlich "milder" aus, als erwartet. Die beiden Hauptangeklagten, Karl Hans Sailer und Maria Emhart, für die der Staatsanwalt die Todesstrafe beantragt hatte, wurden zu 20 bzw. 18 Monaten Haft verurteilt, Bruno Kreisky erhielt 12 Monate Kerker, Franz Jonas wurde freigesprochen.
Im Rahmen der Juli-Amnestie von 1936 wurden die Verurteilten, die allerdings bereits monatelang in Untersuchungshaft verbracht hatten, schließlich begnadigt.
Literatur: Otto Leichter und Oskar Pollak, Revolutionäre Sozialisten vor Gericht, 1936; Manfred Scheuch, Der Weg zum Heldenplatz. Eine Geschichte der österreichischen Diktatur 1933-1938, 2005.