Arbeiterheim Ottakring

16., Kreitnergasse 29-33

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Im Jahr 1905 waren die Ottakringer Sozialdemokraten stark genug, um den Bau eines eigenen Arbeiterheimes in der Kreitnergasse 29-33 in Angriff nehmen zu können. Mit Hilfe eines Kredits der Ottakringer Brauerei – die im Gegenzug das Monopol für die Belieferung des Buffets mit Bier erhielt – konnte die Finanzierung gesichert werden.

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Während der Bauarbeiten kam es allerdings zu einem offenen Konflikt zwischen den Arbeitern und dem Baumeister, der in einem Streik mündete. An der Spitze der Streikbewegung stand ein junger Maurer, der spätere ÖGB-Präsident Johann Böhm. Der Streik, der von der damaligen "Kronen-Zeitung" unterstützt wurde, löste eine schwere Krise in der Ottakringer Parteiorganisation aus und hätte die Fertigstellung des Heims beinahe verhindert. Unter dem massiven Druck Franz Schuhmeiers musste Böhm schließlich nachgeben.


1907 konnte das Arbeiterheim endlich eröffnet werden, offizielle Hausverwalter waren die Genossen Kütt, Sever und Volkert. Es enthielt neben Büro- und Versammlungsräumen der Organisation auch einen Festsaal von 800 Quadratmetern für 2.000 Menschen bzw. 1400 Stühle – alleine im Foyer gab es 1.734 Haken für Garderobe. Das Inventar des hauseigenen Restaurants umfasste 5.500 Stühle und 690 Tische, die Schank verfügte über 6.000 Krügel- und 2.000 Seitelgläser.
 

Zum Arbeiterheim gehörten auch fünf Wohnhäuser in der Klaus- und der Kretnergasse mit insgesamt 42 Wohnungen, die mit ihrer guten Ausstattung alle bisherigen Arbeiterwohnungen in den Schatten stellten: Sie verfügten über Badezimmer mit Kalt- und Warmwasser, Küchen mit  Sparherd und Gasrechaud, je auch über einen Abort und einen "Staubsaugeapparat" sowie eine eingebaute Zentralheizung. Wer seine Wäsche nicht in der Wohnung waschen wollte, dem stand eine Waschküche zur Verfügung. Nahezu revolutionär war auch der eigene Haustorschlüssel, so daß das Sperrgeld entfällt. Im Parterre der Kreitnergasse war zudem eine Filiale des Niederösterreichischen Arbeiter-Konsumvereins untergebracht.

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1910 wurde auch eine eigene Jugendbibliothek im Arbeiterheim eröffnet. Wir wissen, wie schwer es dem Arbeiter gemacht wird, sich auf eine höhere geistige Stufe emporzuarbeiten, so Franz Schuhmeier im Rahmen der Eröffnungsfeier. Ich sage immer, daß das Wissen der Besitzenden mir nicht imponiert und daß es nichts bedeutet gegenüber dem Wissen, das sich der Arbeiter unter harter Mühe und aus eigener Kraft erarbeitet. Es ist keine Kunst, gebildet zu werden, wenn der Vater alle möglichen Professoren dafür zahlt […].

Das Ottakringer Arbeiterheim war bis 1934 eines der wichtigsten Veranstaltungs- und Kulturzentren des Bezirks. Am frühen Abend des 12. Februar 1934 fuhren zwei Panzerwagen der Polizei feuernd durch die Hasnerstraße und die Koppstraße. Als sie nach einer halben Stunde wieder abzogen, errichteten Schutzbündler in der Hasnerstraße, der Koppstraße, der Kreitnergasse und der Klausgasse Barrikaden.

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Daraufhin fuhr neuerlich ein Panzerwagen auf und beschoss die Barrikaden, die schließlich von 50 Polizisten angegriffen wurden. Zugleich wurde eine Verstärkung des Bundesheeres angefordert. Der Angriff konnte zweimal zurückgeschlagen werden, dann gelang es den Angreifern, bis zur Ecke Koppstraße / Klausgasse vorzudringen.

Nach Mitternacht wurde das Arbeiterheim aus mehreren Richtungen unter Beschuss genommen. Am frühen Morgen des nächsten Tages wurde das II. Bataillon des Infanterieregiments Nr. 3 nach Ottakring beordert und um 6.30 Uhr der Befehl zum Sturm auf das Arbeiterheim gegeben.

Bei der Vorbereitung des Angriffs wurden Granaten gegen das Haus geschossen, dessen Fassade dadurch völlig zerstört wurde. 

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Als um 8.30 Uhr das Tor in der Kreitnergasse aufgesprengt wurde, fielen aus dem Arbeiterheim keine Schüsse mehr. In der Wohnung Albert Severs fand man dessen schwer verletzte Frau Ida, die kurz nach ihrer Einlieferung ins Spital verstarb. Ihre Nachbarin Mathilde Skoda wurde ebenfalls tot aufgefunden. Ein weiterer Hausbewohner hatte sich während der Belagerung erhängt.

Das schwer beschädigte Gebäude wurde bald darauf zum Abbruch freigegeben. An seiner Stelle musste die Städtische Versicherung ein Wohnhaus errichten, das 1936 fertiggestellt wurde. Eine Gedenktafel erinnert heute an das einstige Arbeiterheim. Bei den Kämpfen in Ottakring fielen die Genossen Karl Christ, Heinrich Friesenecker, Josef Krasser, Franz Ludvicek und Leopold Umyssa.

TF_Arbeiterheim_Ottakring_1934_Opfer_BO16Vier Schutzbündler, die an der Verteidigung des Arbeiterheimes teilgenommen hatten – Josef Dangl, Ludwig Tuma, Josef Fidra und Anton Prybil – wurden zum Tode verurteilt und erst nach Intervention der englischen Labour-Party zu Kerkerstrafen begnadigt.

Zwei Teile eines gestempelten Essbestecks aus den Beständen der Gastwirtschaft des Arbeiterheimes Ottakring wurden bei der Erstürmung im Februar 1934 von einem Polizeioffizier mitgenommen und 1985 an die Bezirksorganisation zurückgegeben. Heute sind sie im Waschsalon Karl-Marx-Hof ausgestellt.

Literatur: Helmut Weihsmann, Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919–1934, 1985/2002.