Rathaus

1., Rathausplatz, Felderstraße, Lichtenfelsgasse, Friedrich-Schmidt-Platz

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Das Wiener Rathaus wurde in den Jahren 1872 bis 1883 von der damaligen liberalen Stadtverwaltung nach Plänen von Friedrich von Schmidt erbaut. Den Mittelpunkt der siebenhöfigen Anlage bildet ein kreuzgangartiger Arkadenhof. Das Bauwerk vereint Elemente der Gotik, der Renaissance und des Barock. Bemerkenswert sind die prunkvollen Hauptstiegen und die polychrome Dekoration der Festsäle.

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Im Jahr 1900 gelang es den Sozialdemokraten erstmals, zwei Sitze im Wiener Gemeinderat zu erringen: Jakob Reumann wurde in FavoritenFranz Schuhmeier in Ottakring gewählt. Die krasse Benachteiligung der Sozialdemokraten ergab sich durch das in Wien bis Kriegsende geltende Kurienwahlrecht, das der vierten "allgemeinen Kurie" nur einen Gemeinderat pro Bezirk – insgesamt also 20 – zugestand, während die ersten drei Kurien, die den Besitzenden und den Inhabern wichtiger Ämter vorbehalten waren, jeweils 46 Gemeinderäte wählten. Damit gelang es den Christlichsozialen, in Wien auch dann noch ihre Mehrheit zu sichern, als selbst für den Reichsrat bereits das allgemeine und gleiche Wahlrecht (allerdings nur für Männer!) eingeführt worden war.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das allgemeine und gleiche Wahlrecht auch für den Wiener Gemeinderat durchgesetzt und am 4. Mai 1919 fanden die ersten fairen Wahlen in der Hauptstadt statt. Die Sozialdemokraten erhielten 100 der 165 zu vergebenden Mandate, die Christlichsozialen 50, die Tschechoslowakische Partei 8, die Großdeutschen 4 und die Jüdisch-Nationalen 3, und Jakob Reumann wurde zum ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Wiens gewählt. Wien war damit die erste Millionstadt der Welt mit einer sozialdemokratisch geführten Verwaltung, das Rathaus wurde zu einem Symbol des "Roten Wien" und seiner beispielgebenden Kommunalpolitik mit den Schwerpunkten Wohnbau, soziale Fürsorge und Bildungspolitik.

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Seit damals errangen die Wiener Sozialdemokraten bei nahezu allen freien Wahlen die absolute Mehrheit im Wiener Gemeinderat (Ausnahmen: 1996, 2010 und 2015), und alle frei gewählten Wiener Bürgermeister waren Sozialdemokraten: Karl Seitz (1923–1934), Theodor Körner (1945–1951), Franz Jonas (1951–1965), Bruno Marek (1965–1970), Felix Slavik (1970–1973), Leopold Gratz (1973–1984), Helmut Zilk (1984–1994) und Michael Häupl (seit 1994).

Am 12. Februar 1934 wurde Bürgermeister Karl Seitz von den Austrofaschisten in seinen Amtsräumen im Rathaus verhaftet. Sein von den Austrofaschisten eingesetzter Nachfolger Richard Schmitz wurde seinerseits am 12.3.1938 von den Nationalsozialisten im Rathaus festgenommen.

Am 12. April 1945, als in der Leopoldstadt, der Brigittenau und in Floridsdorf noch gekämpft wurde, fanden im Roten Salon des Rathauses bereits erste Gespräche sozialdemokratischer Funktionäre statt. Am 13. April war die Befreiung Wiens abgeschlossen und tags darauf wurde die Wiedergründung der Partei im Rathaus beschlossen. Bei den abschließenden Verhandlungen saßen sich die Vertreter der Revolutionären Sozialisten, die auch während der schwierigen Jahre des Faschismus illegal tätig gewesen waren (u.a. Felix Slavik, Josef AfritschHeinrich HackenbergKarl Kysela) und die Repräsentanten des gemäßigten Flügels (u.a. Theodor Körner, Paul SpeiserKarl HonayGeorg EmmerlingAnton Weber) gegenüber. Als Vermittler zwischen den beiden Fraktionen fungierte Adolf Schärf.

Man einigte sich schließlich auf die Bildung einer neuen Partei mit dem Namen "Sozialistische Partei Österreichs", die den Zusatz "Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten" erhielt. Da zu diesem Zeitpunkt das Schicksal des früheren Parteivorsitzenden Karl Seitz, der von den Nationalsozialisten 1944 verschleppt worden war, noch unklar war, wurde Adolf Schärf provisorisch mit dem Parteivorsitz betraut. Parallel dazu fanden auch bereits Verhandlungen über die Bildung einer provisorischen Stadtverwaltung statt.

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Die beiden anderen ebenfalls neugegründeten Parteien, ÖVP und KPÖ, akzeptierten den Anspruch der Sozialdemokraten auf die Nominierung des Bürgermeisters. Gegen Anton Weber als Bürgermeister erhoben allerdings die Revolutionären Sozialisten Einwände, Georg Emmerling als zweiter möglicher Kandidat lehnte aus Gesundheitsgründen ab.

Erst der dritte Vorschlag, Theodor Körner, fand allgemeine Zustimmung. Jede der drei Parteien stellte einen Vizebürgermeister: Paul Speiser (SPÖ), Leopold Kunschak (ÖVP), Karl Steinhardt (KPÖ).

Am 27. April 1945 wurde auch die Provisorische österreichische Staatsregierung unter dem Vorsitz Karl Renners gebildet und am 29. April versammelten sich Regierung und Stadtsenat im Roten Salon des Rathauses; eine Gedenktafel erinnert an dieses historische Ereignis.

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Von hier begaben sich die Begründer des wiedererstandenen Staates in das weitgehend zerstörte Parlament, wo der erste Staatsakt erfolgte – der Beschluss der "Unabhängigkeitserklärung" als politische Grundlage für den Aufbau der Zweiten Republik.

Eine weitere Gedenktafel beim Sitzungssaal des Gemeinderates erinnert an jene Gemeinderäte, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden:

Therese Ammon, Gemeinderätin 1927–1934
Aladar Bekes, Gemeinderat 1923–1924
Julius Bermann, Gemeinderat 1919–1934
Robert Danneberg, Gemeinderat 1918–1934, Landtagspräsident 1922–1934, Finanzstadtrat 1932–1934
Jakob Ehrlich, Gemeinderat der Jüdisch-Nationalen Liste 1919–1923
Johann Pokorny, Gemeinderat 1919–1934
Edmund Reismann, Gemeinderat 1919–1934.