Zeisel (bis 1938: Zeisl), Hans

1.12.1905, Kaaden/Kadan (Böhmen) – 7.3.1992, Chicago (USA)

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Das Wunder des "Roten Wiens", das in der Geschichte (...) einer der Höhepunkte der menschlichen Zivilisation bleiben wird, wäre ohne die von Euch gerügte Anomalie nicht denkbar gewesen. Das rote Wien war selbst eine Anomalie: Beispielgebend sozialistische Taten und Ideen wuchsen auf einer Insel, die umgeben war von zwei feindlichen Meeren: Dem seichteren Meer der christlich-sozialen Länder, und den Ozeanen der faschistischen Welt: Ungarn, Italien und Deutschland. Nur die eschatalogische Hoffnung auf einen Endsieg unter allen Umständen hat dieses menschliche, soziale und politische Wunder zustandegebracht. (Aus einem Brief Zeisels an Ilona Duczynska-Polanyi, Nachlass Christian Broda). Zeisel studierte Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien und trat noch während des Studiums der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei.

1927 promovierte er zum Dr. jur., ein Jahr später zum Dr. rer. pol. Zeisel, der eine Zeit lang auch als Sportreporter für die Arbeiter-Zeitung tätig war, war einer der Mitbegründer der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle und, gemeinsam mit Paul Felix Lazarsfeld und Marie Jahoda, maßgeblich an der "Marienthal-Studie" beteiligt. Unter anderem machte Hans Zeisel auch eine Reihe von Fotos vor Ort.

1935 vorübergehend als Konsulent und Marktforscher der tschechischen Schuhfirma "Bata" tätig, eröffnete Zeisel 1936 seine eigene Rechtsanwaltskanzlei in Wien. 1938 heiratete Hans Zeisel die ungarische Künstlerin und Designerin Eva Striker und emigrierte mit ihr im selben Jahr in die USA, wo er von 1940 bis 1943 als Bediensteter des Department of War in Washington, später auch als Marktforscher – insbesondere für die McCann-Erickson Advisory Agency und den Tea Council – und Mitarbeiter des Bureau of Applied Social Research in New York arbeitete.

Zeisel, der 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen und 1947 sein Werk "Say it with Figures" publiziert hatte, wurde 1951 Lecturer an der Columbia University und an der New School for Social Research in New York. 1953 folgte er einem Ruf der juristischen Fakultät der Universität von Chicago, wo er als Professor für Statistik, Rechtswissenschaften und Soziologie wirkte und bahnbrechende Studien zur Rechtssoziologie betrieb. Zeisel, der Mitglied in zahlreichen statistischen und soziologischen Verbänden war, gilt als ein Pionier der Marktforschung und als einer der ersten Rechtssoziologen.

2013/14 zeigte der Waschsalon Karl-Marx-Hof in Kooperation mit dem Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich AGSÖ eine Ausstellung über die Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal". 

Werk: Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit (Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld, Hans Zeisel), 1933; Say it with Figures, 1947; Delay in the Court (Hans Zeisel, Harry Kalven, Bernard Buchholz), 1959; The American Jury (Harry Kalven u. Hans Zeisel), 1966; The Limits of Law Enforcement, 1982.
Literatur: Die Ohnmacht der Henker. Franz Kreuzer im Gespräch mit Hans Zeisel und Christian Broda, 1986.