Waldinger, Ernst

16.10.1896, Wien – 1.2.1970, New York

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W

In der Inselhitze von Manhattan,
Wo das Hemd mir feucht am Leibe klebt,
Steil sich Turm um Turm mit strengem Schatten
In den glüh'nden Julihimmel hebt,
Denk' ich an der Bauernstuben Kühle
Einer fernen Ferienzeit zurück... 

Ernst Waldinger wurde als Sohn eines jüdischen Schuhhändlers in Ottakring geboren. Schon als Jugendlicher war er ein begeisterter Besucher der Vorträge im "Volksheim", der heutigen Volkshochschule Ottakring, und aktives Mitglied einer sozialistischen Mittelschülergruppe. Im Sommer 1917 wurde Waldinger als junger Kriegsfreiwilliger im heutigen Rumänien durch Granatsplitter schwer verwundet und verlor vorübergehend das Sprechvermögen – eine Beeinträchtigung, die er durch das Rezitieren von Gedichten bekämpfte. Zurück in Wien studierte er Germanistik und Kunstgeschichte und promovierte im Jahr 1921.

Waldinger_Ernst_TF_wbVon 1922 bis 1938 war Waldinger Angestellter beim "Allgemeinen Tarif-Anzeiger", der Alexander Freud, dem jüngeren Bruder Sigmund Freuds, gehörte. 1923 heiratete er Beatrice ("Rosa") Winternitz, eine Nichte Freuds. Waldinger, der seit seiner Jugend Gedichte schrieb, trat Mitte der 1920er Jahre erstmals als Lyriker an die Öffentlichkeit; ab 1929 veröffentlichte er zahlreiche Gedichte in der Arbeiter-Zeitung und übersetzte Lyrik aus dem Englischen, dem Ungarischen und Französischen. 1933 gehörte er zu den Mitbegründern der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. 1934 konnte er seinen ersten Gedichtband, "Die Kuppel", veröffentlichen; im selben Jahr erhielt er – gemeinsam mit Hilde Spiel, Ludo Gerwald und Adolf Unger – den Julius Reich-Preis. Gemeinsam mit Gerhart Herrmann Mostar und Theodor Kramer gab Waldinger auch die Broschürenreihe "Das kleine Lesebuch" heraus, in der auch in Österreich lebende deutsche Hitler-Flüchtlinge eine Publikationsmöglichkeit vorfanden.

Beim "Anschluss" Österreichs befand sich Waldinger in Spitalsbehandlung und musste zunächst verborgen bleiben. Im Sommer 1938 konnte das Ehepaar Waldinger dank Beatrices amerikanischer Staatsbürgerschaft über Paris und London – wo sie der Familie Freud einen Besuch abstatteten – nach New York emigrieren. Hier musste Waldinger sich zunächst mit verschiedenen Jobs über Wasser halten. 1939 wurde er Mitarbeiter bei der "Austro American Tribune"; 1944 gehörte Waldinger zu den Mitbegründern des "Aurora Verlags", in dem auch sein Gedichtband "Die kühlen Bauernstuben" erschien.

Nach Kriegsende nahm Waldinger bald wieder Kontakt nach Österreich auf. Seine Texte erschienen ab 1945 in zahlreichen deutschsprachigen Zeitschriften – das Angebot, nach Österreich zurückzukehren, nahm das Ehepaar Waldinger jedoch nicht an. Von 1947 bis 1965 lehrte Waldinger deutsche Sprache und Literatur am Skidmore College in Saratoga Springs. Nach seiner Pensionierung im Jahr 1965 übersiedelten Ernst und Beatrice Waldinger wieder nach New York.

Die erste Reise nach Wien erfolgte 1958 (Verleihung des Theodor Körner-Preises). Auf seiner dritten Österreichreise erlitt Waldinger 1969 in Schruns einen Schlaganfall; während Waldinger nach New York zurückgebracht wurde, wo er bis zu seinem Tod in Spitalspflege blieb, erlag seine Frau infolge der Aufregung einem Herzinfarkt.

Werk : Die Kuppel. Gedichte, 1934; Der Gemmenschneider, 1937; Die kühlen Bauernstuben. Gedichte, 1946; Glück und Geduld. Gedichte, 1952; Gesang vor dem Abgrund, 1961.
Literatur : Alfred Waldinger (Bruder), Späte Ernte, Gedichte 1980; Karl-Markus Gauß (Hrsg.), Noch vor dem jüngsten Tag. Ausgewählte Gedichte und Essays, 1990; Theodor Waldinger (Bruder), Zwischen Ottakring und Chicago. Stationen, 1993.