Tschechoslowakische Sozialistische Partei Österreichs

5., Margaretenplatz 7

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1862 wurde in Wien der erste tschechische Verein gegründet, dem bald weitere Organisationen folgten. Da die Arbeiter sich in ihrem Streben nach Bildung vernachlässigt fühlten, kam es am 29. März 1868 zur Gründung des "Tschechoslowakischen Arbeitervereins". Am 16. August desselben Jahres fand die erste Massenversammlung beim Zobel in Fünfhaus statt: 2.000 tschechische Arbeiter stimmten über eine Resolution mit sozialpolitischen Forderungen ab.

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1872 wurde auf Initiative des "Arbeitervereins" der "Schulverein Komensky" gegründet; 1874/75 folgten die Arbeiterbildungsvereine "Tyl" in Simmering (Kopalgasse 5) und "Delnicka jednota" in Favoriten. Und am 28. September 1876 beschlossen Vertreter der tschechoslowakischen Arbeiterorganisationen aus Prag, Brünn, Aussig und Wien bei einer Beratung im Gasthaus "Cap" in Prag, eine eigene Tschechoslowakische Sozialdemokratische Partei zu gründen. Durch Verrat erfuhr die Polizei von diesem Plan, es kam zu Verhaftungen, und der "Tschechoslowakische Arbeiterverein" in Wien wurde aufgelöst.

Trotz dieser Repressalien kam es am 7. April 1878 im Gasthaus "Ukastanu" in Prag-Brevnov zur Gründung der Tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Partei. Der hunderste Jahrestag dieses Ereignisses wurde übrigens im Meidlinger Arbeiterheim gefeiert – nicht jedoch in der vormaligen CSSR. 1881 übersiedelte die Parteiführung der tschechischen Sozialdemokraten von Prag in die Reichshauptstadt Wien; noch im selben Jahr wurden zahlreiche Funktionäre, darunter der gesamte Parteivorstand, verhaftet.

Als 1884 für Wien und Teile Niederösterreichs der Ausnahmezustand verhängt wurde, folgte binnen weniger Tage die Auflösung aller tschechischen Vereine mit Ausnahme des Simmeringer Vereins "Tyl". Auch das in Wien hergestellte Organ der tschechoslowakischen Sozialdemokraten, die "Arbeiter-Blätter", wurde verboten. 

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Nach der Lockerung des Ausnahmezustandes konnte ab 1890 der Wiederaufbau politischer Strukturen beginnen. 1894 anerkannte der 4. Kongress der österreichischen Sozialdemokraten die organisatorische Selbständigkeit der tschechoslowakischen Sozialdemokratie. Im Jahr 1900 gab es bereits 37 tschechoslowakische sozialdemokratische Vereine in der Stadt, und die "Arbeiter-Blätter" wurden zur Tageszeitung. 1902 wurde das Haus am Margaretenplatz 7 erworben und eine eigene Druckerei eingerichtet. Und nachdem 1903 in Prag die tschechischen Arbeiterturnvereine (DTJ) gegründet worden waren, kam es zur Bildung solcher Vereine in nahezu allen Wiener Bezirken.

Die folgenden Jahre waren von heftigen Auseinandersetzungen um die Selbständigkeit der tschechoslowakischen Arbeiterbewegung geprägt. Ab 1910 erschien in Wien eine zweite tschechische sozialistische Tageszeitung, das "Arbeiter-Tagblatt", die sich für eine einheitliche österreichische Arbeiterbewegung stark machte, und im Jahr darauf wurde in Brünn eine politische Organisation mit der gleichen Zielsetzung gegründet. In Wien waren die Auseinandersetzungen jedoch am heftigsten, es kam zu Tätlichkeiten, zur Störung von Versammlungen und zu gegenseitigen Denunziationen bei der Polizei. Dieser Konflikt endete erst mit der Gründung des tschechoslowakischen Staates im Spätherbst des Jahres 1918.

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Am 25. Januar 1918 wurde in Wien der Verein "Tschechisches Herz" gegründet, der v.a. die Not der tschechischen Kinder und Kriegswitwen lindern sollte. 1922 erwarb der Verein ein Areal in Favoriten und errichtete darauf ein Sportzentrum, den in ganz Wien bekannten "Tschechisches Herz-Platz". Der Sportplatz wurde in den 1970er Jahren an die Gemeinde Wien verkauft, die ihn zum heutigen Horr-Stadion ausbauen ließ.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam es wieder zu heftigen internen Auseinandersetzungen um die Zukunft der sozialdemokratischen tschechoslowakischen Bewegung in Wien. Dennoch rangen sich mehrere tschechoslowakische Gruppen 1919 zu einer gemeinsamen Kandidatur bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung durch und erreichten mit insgesamt 65.132 Stimmen ein Mandat, das der Chefredakteur der "Arbeiter-Blätter", Frantisek Dvorak, erhielt. Im niederösterreichischen Landtag errangen die Tschechen drei Sitze, im Wiener Gemeinderat acht und in den Bezirksvertretungen insgesamt 41 Sitze. Im März 1921 wurde im Hotel "Post" schließlich die Ablösung von der Parteizentrale in Prag vollzogen: Die neue Tschechoslowakische Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs wurde zu einer selbständigen österreichischen Partei. Auf ihrem zweiten Kongress im Jahr 1923 zählte die Partei 92 Lokalorganisationen in Wien und weitere 17 außerhalb Wiens mit insgesamt etwa 15.000 Mitgliedern.

Ab 1927 verzichtete die Partei jedoch auf eine eigene Kandidatur; der sozialdemokratischen Gemeinderatsfraktion gehörten nun ständig zwei Vertreter der Wiener Tschechen und Slowaken an.

1934 wurden alle tschechoslowakischen sozialdemokratischen Organisationen und Zeitungen verboten; am Margaretenplatz wurde nun statt der Zeitung "Wiener Arbeiter-Blätter" die unter scharfer Kontrolle stehende "Wiener Zeitung (Videnske noviny)" hergestellt. Die Nationalsozialisten beendeten schließlich alle Versuche, die tschechoslowakische Minderheit in Wien zu organisieren. 1942 wurde auch der Schulverein Komensky aufgelöst und sein Vermögen beschlagnahmt. Viele österreichische Tschechen und Slowaken wurden gezwungen, in das "Protektorat Böhmen und Mähren" bzw. in den slowakischen Satellitenstaat zu übersiedeln.

Die Wiener Tschechen und Slowaken waren ein wichtiger Teil des antifaschistischen Widerstandes. Sie hatten deshalb auch unter besonders brutalen Verfolgungen zu leiden. So wurden allein am 6. November 1941 zwanzig tschechische Antifaschisten aus Wien im KZ-Mauthausen im Zuge einer sogenannten "Sonderbehandlung" erschossen. 1943 wurde auch Alois Houdek, der in der Druckerei des Hauses am Margaretenplatz illegale Flugschriften hergestellt hatte und 1941 verhaftet worden war, im Landesgericht hingerichtet. An ihn und zahlreiche weitere NS-Opfer der tschechischen und slowakischen Minderheit erinnert eine Gedenktafel in der Leibnitzgasse 10 in Favoriten.

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Nach der Befreiung setzte, ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg, eine intensive Werbung der tschechoslowakischen Regierung um die verbliebenen Wiener Tschechen und Slowaken ein. Zum Unterschied von Wien, wo Hunger, allgemeine Not und Wohnungsmangel das Leben schwer beeinträchtigten, wurde ihnen in ihrer ursprünglichen Heimat eine Existenz ohne Not zugesichert. Mehr als 20.000 Wiener Tschechen folgten diesem Ruf. Nur eine kleine Gruppe um den Sozialisten Josef Jirava – der von 1945 bis 1959 dem Wiener Gemeinderat angehörte – wehrte sich gegen diese Entwicklung und bekannte sich zur Existenz der tschechischen und slowakischen Volksgruppen in Wien.

Die Konflikte verschärften sich, als die Kommunisten 1948 in der Tschechoslowakei die Macht übernahmen. Die Propaganda für die "Heimkehr" wurde verschärft, gleichzeitig flüchteten die ersten Menschen wieder aus der Tschechoslowakei nach Wien. Dabei bewährte sich die 1946 wiedergegründete Tschechoslowakische Sozialistische Partei Österreichs als stärkste Interessenvertretung der Minderheit in Wien. Die Wiener Tschechoslowaken nahmen auch lebhaften Anteil, als im Jahr 1968 im Rahmen des "Prager Frühlings" das Experiment eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" unternommen wurde.

Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts kamen viele Flüchtlinge nach Österreich, darunter auch zahlreiche ehemalige KP-Funktionäre, die nun versuchten, Einfluss in der bestehenden Organisation der Wiener tschechoslowakischen Sozialisten zu gewinnen oder eigene Organisationen aufzubauen. Beides scheiterte. Die Tschechoslowakische Sozialistische Partei Österreichs blieb die bestimmende Kraft der Volksgruppe.

1972 verkaufte die Tschechoslowakische Sozialistische Partei Österreichs das Haus am Margaretenplatz und behielt nur den historischen Sitzungssaal. Das Sekretariat der Organisation wurde zunächst in die Oswaldgasse 14 im 12. Bezirk verlegt; heute befindet es sich in der Ada-Christen-Gasse 13/35/6 in Favoriten.

Tschechische Sozialdemokratische Partei Österreichs 
10., Ada-Christen-Gasse 13/35/6
Tel.: 688 73 69