Victor Adler war nun der unumstrittene Führer der österreichischen Arbeiterbewegung und maßgeblich an der Abfassung des Brünner Nationalitätenprogramms von 1899 beteiligt. Wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er 17 mal gerichtlich verurteilt und verbrachte insgesamt 18 Monate in Gefängnissen – u.a. auch im Jahre 1890, als die Arbeiter zum ersten Mal den 1. Mai als internationalen Kampftag feierten, ein Beschluss, zu dem Adler als Delegierter beim Gründungskongress der Zweiten Internationale 1889 in Paris wesentlich beigetragen hatte.
1901 wurde Adler in den niederösterreichischen Landtag gewählt – Wien gehörte damals noch zu Niederösterreich –, 1905 in den Reichstag, wo er sich entschieden für das allgemeine Wahlrecht und gegen den drohenden Krieg engagierte.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs sah er Österreich-Ungarn allerdings in einen Verteidigungskrieg verwickelt und setzte innerhalb seiner Partei gegen den Widerstand des linken Flügels, dem auch sein Sohn Friedrich angehörte, die Unterstützung der Kriegspolitik durch. Unter dem Eindruck des Attentats Friedrich Adlers auf Ministerpräsident Stürgkh und der allgemein wachsenden Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung änderte die sozialdemokratische Führung jedoch ihre Haltung und forderte schließlich vehement die rasche Beendigung des Krieges.
Als nach dem Zusammenbruch der Monarchie Karl Renner eine provisorische Regierung bildete, berief er den zu diesem Zeitpunkt bereits schwer kranken Victor Adler, der für den Anschluss von Deutsch-Österreich an das Deutsche Reich eintrat, als Staatssekretär für Äußeres.
Am 9. November 1918 hielt Adler im Staatsrat seine letzte Rede; am 11. November, nur einen Tag vor der Proklamation der demokratischen Republik Deutsch-Österreich, starb er.
Victor Adler wurde am 15. November 1918 am Zentralfriedhof beigesetzt. Die Enthüllung des von Hubert Gessner geschaffenen Ehrengrabs für Victor Adler und Engelbert Pernerstorfer fand erst am 7. November 1926 statt. Später wurden hier auch Friedrich Adler, Otto Bauer und Helene Bauer sowie 1950 – auf persönlichen Wunsch – Karl Seitz beigesetzt.
Eine Büste Victor Adlers von Anton Hanak befindet sich am Republik-Denkmal in Wien. In der Gumpendorfer Straße 54 in Mariahilf erinnert eine Gedenktafel mit einem Bronzeporträtrelief von Fritz Cremer daran, dass Victor Adler von 1905 bis zu seinem Tod in diesem Haus wohnte: Dr. Victor Adler. Arzt der Notleidenden – Vorkämpfer der Arbeiterklasse – Begründer der österr. Sozialdemokratie – Reichsratsabgeordneter – Mitbegründer der Republik Österreich wohnte in diesem Hause von November 1905 bis zu seinem Tode am 11. November 1918.
Am Vereinshaus der Kleingartenanlage Wienerberg-Zwillingsee in Favoriten befindet sich eine weitere Büste Victor Adlers. Das Vereinshaus war früher das Haus des Arbeiterbetriebsrates der Wiener Ziegelwerke, über deren katastrophale Arbeitsbedingungen Victor Adler 1888 eine aufrüttelnde Reportage verfasste. Zum hundertsten Geburtstag Adlers stifteten die Wienerberger Ziegelarbeiter diese Gedenkstätte.
Eine zweite, idente Keramik wurde 1955 vor dem Lehrsaal des Arbeiterheimes Favoriten angebracht, diese ist seit 2010 im Rahmen der Dauerausstellung zur Geschichte des Roten Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof ausgestellt.
Die Victor-Adler-Plakette ist die höchste Auszeichnung der SPÖ für besondere Verdienste um die österreichische Arbeiterbewegung. Voraussetzung für die Verleihung ist die Vollendung des 60. Lebensjahres sowie eine mindestens 40jährige Parteizugehörigkeit.
In einem eigenen Victor-Adler-Gedenkraum in den Räumlichkeiten des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung sind Fotos und Unikate aus dem Schriften- und Dokumentennachlass Adlers ausgestellt.
Werk: Aufsätze, Reden und Briefe, 11 Bände, 1922-29.
Literatur: Julius Braunthal, Victor und Friedrich Adler. Zwei Generationen Arbeiterbewegung, 1965; Franz Kreuzer, Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen, 1988; Lucian O. Meysels, Victor Adler, 1997; Robert Misik, Ein seltsamer Held – der grandiose, unbekannte Victor Adler, 2016; Victor Adler im Spiegel seiner Zeitgenossen, 1968.