Kanitz, Otto Felix

5.2.1894, Wien – 27.3.1940, ermordet im KZ-Buchenwald (Thüringen)

Head_kanitz_otto_felix_kinderfreunde

K

Otto Felix Kanitz wurde als drittes von vier Kindern eines Juristen geboren, beide Eltern sind jüdischen Glaubens. Nach deren Scheidung wurden die Söhne dem Vater zugesprochen, getauft und einem katholischen Waisenhaus überantwortet. Mit 14 Jahren begann Otto Felix eine Installateurlehre, die er jedoch bald abbrach. Er lernte Hermine Weinreb kennen, die bei den Kinderfreunden moderne Erziehungsmethoden erprobte, schloss sich der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung an und zählte nach dem Ersten Weltkrieg zu den Spitzenfunktionären der Sozialistischen Arbeiterjugend  (SAJ).

Kinderfreundeschule_TF2_HWeiss_KF

Nach dem Ersten Weltkrieg initiierte Weinreb mit Unterstützung der amerikanischen Kinderhilfsaktion eine Kindererholung in Gmünd, deren Leitung der junge Kanitz übernahm. Dem 25-jährigen gelang es in dieser ersten großen Ferienkolonie, die in einem aufgelassenen Flüchtlingslager untergebracht war und in dem in zwei Turnussen jeweils 700 Kinder Erholung fanden, durch die demokratische Wahl von Kindervertrauensleuten, mit denen er in der Vollversammlung die Probleme des Zusammenlebens diskutierte, erste Formen der Kindermitbestimmung zu praktizieren.

Erster "Präsident" der "Kinderrepublik" war übrigens Josef Böhmer. Noch im selben Jahr wurde Kanitz Leiter der neuen Erzieherschule in Schönbrunn.

TF_Kanitz_Otto_Felix_BO16_5_Elsner

Über seine Arbeit mit den Kindern im Schönbrunner Kinderheim schrieb er später: Der Egoismus wich Schritt für Schritt zurück und machte einem immer leidenschaftlicher werdenden Gemeinschaftsgefühl Platz. Beschimpfungen oder Raufereien kamen nach drei Monaten fast nicht mehr vor. 

Durch seine Tätigkeit bei den Wiener Kinderfreunden, gemeinsam mit seinem Freund und Mentor Anton Afritsch, wurde Kanitz zu einem der bedeutendsten Wegbereiter moderner Pädagogik und fortschrittlicher Erziehung, und nach Abschluss seines Studiums der Pädagogik im Jahr 1922 auch als Autor wissenschaftlicher Werke bekannt.

Kanitz, der von 1921 bis 1934 die Zeitschrift "Die Sozialistische Erziehung" gestaltete, hielt in seiner Broschüre "Kampf und Bildung" den Zusammenhang zwischen Wissen und Verbesserung der Lebensbedingungen anschaulich fest.

Kanitz_GT_TF_Digi

Eine seiner wichtigsten Aussagen lautete: Sozialismus lässt sich weder erwandern noch ersingen, sondern nur erkämpfen. Die Arbeiterjugend-Organisationen werden ihre Aufgaben nur erfüllen können auf der Grundlage des politisch-wirtschaftlichen Kampfes und der marxistischen Schulung ihrer Mitgliederschaft! 

Kanitz gehörte von 1932 bis 1934 dem Bundesrat an und floh im Februar 1934 vorübergehend nach Brünn. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich wurde Otto Felix Kanitz wegen seiner jüdischen Abstammung und seiner Tätigkeit für die Revolutionären Sozialisten verhaftet und von Wien in das KZ-Buchenwald deportiert, wo er im Jahr 1940 ermordet wurde.

Die Kanitzgasse im 23. Bezirk wurde 1966 nach ihm benannt. Am Parlament (Reichsratsstraße) erinnert eine Gedenktafel an den großen Kinderfreund und im März 2019 wurde der Gemeindebau im 21. Bezirk, Kummergasse 7, Otto-Felix-Kanitz-Hof benannt.

Seit der Umbettung am 9. April 2002 befindet sich die Urne von Otto Felix Kanitz – den Angehörigen der in den Konzentrationslagern Ermordeten wurde in der Regel eine Urne mit Asche, die angeblich von dem Verstorbenen stammte, sowie ein Totenschein mit fadenscheinigen Angaben über die Todesursache als Postpaket zugestellt – auf dem Heiligenstädter Friedhof, Teil N, Gruppe 10, Grab Nr. 76.

2019/20 zeigte der Waschsalon Karl-Marx-Hof in Kooperation mit Prof. Heinz Weiss eine Sonderschau über Otto Felix Kanitz.

Werk: Kämpfer der Zukunft. Für eine sozialistische Erziehung, Lutz von Werder (Hrsg.), 1970; Das proletarische Kind in der bürgerlichen Gesellschaft, Lutz von Werder (Hrsg.), 1974.
Literatur: Albrecht Karl Konecny, Der Tod eines Bundesrates. Annäherung an einen Patrioten in dreiunddreißig Schritten, 2003; Henriette Kotlan-Werner, Otto Felix Kanitz und der Schönbrunner Kreis. Die Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Erzieher 1923–1934, 1982; Heinz Weiss, Die Pädagogen des Schönbrunner Kreises, 2007; ders., Otto Felix Kanitz. Vom jüdischen Klosterschüler zum Top-Roten der Zwischenkriegszeit, 2017.