Großmann, Stefan

18.5.1875, Wien – 13.1.1935, Wien

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"Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr", sagte der weise Ausbeuter, als er Kinder zur Maschine stellte. 
Stefan Großmann, Moral für andere.

Stefan Großmann wurde als Sohn verarmter jüdischer Eltern in Wien geboren und lernte schon früh die Schattenseiten des Lebens kennen. Als Kind musste er im elterlichen Branntweinladen beim Prater Schnaps an Kutscher und Prostituierte verkaufen, um zum Unterhalt der Familie beizutragen.

Da Großmann die Schule für eine "Zeitverschwendung" hielt, brannte er ein halbes Jahr vor der Matura nach Paris durch, wo er sich mit Übersetzungen und dem Handel mit antiquarischen Büchern über Wasser hielt. Später finden wir ihn in Berlin, wo er regelmäßige Beiträge für verschiedene Zeitschriften schrieb.

Wegen "anarchistischer Umtriebe" aus Deutschland ausgewiesen, kehrte Großmann nach Wien zurück, schloss sich der sozialistischen Arbeiterbewegung an und wurde von Victor Adler in die Redaktion der Arbeiter-Zeitung geholt. Großes Aufsehen erregte Großmann mit seinen kritischen Sozialreportagen, in denen er z.B. die katastrophalen Zustände in den Gefängnissen der Monarchie anprangerte.

1906 gründete Stefan Großmann – nach Berliner Vorbild und mit Unterstützung der SDAP – die Wiener "Freie Volksbühne", deren Ziel es war, der Arbeiterschaft ein anspruchsvolles Theater zu bieten. Unter seiner Leitung erwarb sich die Bühne bald großes Ansehen. Hausdramaturg war Berthold Viertel; Alfred Kubin entwarf Bühnenbilder, später berühmte Schauspieler wie Raoul Aslan, Ernst Deutsch und Max Pallenberg traten in jungen Jahren hier auf. 1910 zählte die Volksbühne bereits über 30.000 Abonnenten.

Drei Jahre später legte Großmann allerdings – nach endlosen Querelen mit der Partei – die Theaterleitung nieder und ging wieder nach Berlin. Seine Erfahrungen mit der Wiener Sozialdemokratie um Victor Adler verarbeitete er in dem 1919 erschienenen Schlüsselroman "Die Partei".

In Berlin wurde Großmann zuerst Mitarbeiter und dann Feuilletonleiter der angesehenen "Vossischen Zeitung". Als einer der wenigen Publizisten ließ er sich nie von der allgemeinen Kriegsbegeisterung anstecken. Seine im Oktober 1914 veröffentlichte Novelle "Der Vorleser der Kaiserin" gilt als früheste deutsche Antikriegsnovelle.

Mit Hilfe des Verlegers Ernst Rowohlt gründete Großmann 1920 die legendäre Wochenschrift "Das Tage Buch", in dessen erster Nummer er schrieb: Diese Zeitschrift rechnet mit urteilsfähigen Lesern. "Das Tage-Buch" kann und will keiner Partei dienen, wohl aber hoffe ich auf eine Verschwörung der schöpferischen Köpfe neben, trotz und über den Parteien. 1927 gab er die Redaktion des "Tage-Buchs" wegen einer schweren Erkrankung ab.

1930 erschien Großmanns Autobiographie "Ich war begeistert", die zu den großen Erinnerungsbüchern an das reiche kulturelle und geistige Leben im Wien und Berlin der Jahrhundertwende zählt. Der Bedrohung durch den Nationalsozialismus entkam Großmann auf tragische Weise: Als man ihn 1933 verhaften wollte, war der Todkranke nicht mehr transportfähig. Statt den Haftbefehl zu vollstrecken, wurde Großmann befohlen, das Dritte Reich zu verlassen, sobald er transportfähig sei. Kriminalbeamte gaben ihm das Geleit zum Zug nach Wien, wo er am 13. Januar 1935 starb.

Werk: - Reportagen: Österreichische Strafanstalten, 1905. - Theater: Der Vogel im Käfig, 1906. - Novellensammlungen: Die Treue, 1901; Die Gasse, 1904; Herzliche Grüße, 1909; Der Vorleser der Kaiserin, 1918; Lenchen Demuth und andere Novellen, 1925. - Romane: Die Partei, 1919; Chefredakteur Roth führt Krieg, 1928. - Autobiographie: Ich war begeistert, 1931.