Freikörperkultur, FKK

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Die Freikörperkultur trat gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Reformbewegung auf den Plan; sie propagierte eine "natürliche Lebensform" zur Pflege von Körper, Seele und Geist und sah den unbekleideten Körper als Gegenentwurf zur zunehmenden Verstädterung des Menschen an, als ein Ausbrechen aus den "bürgerlichen Zwängen" und aus der trostlosen industriellen Lebensweise.

1903 gab der aus Thüringen stammende Richard Ungewitter (1868–1958) eine Broschüre mit dem programmatischen Titel "Wieder nacktgewordene Menschen" heraus, die innerhalb weniger Jahre eine Auflage von beinahe 100.000 Exemplaren erlebte. Dem von Ungewitter ins Leben gerufenen "Treubund für aufsteigendes Leben" gehörten im Jahre 1913 bereits mehr als 50 Verbände in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Zur gleichen Zeit wurde am Wiener Donauufer eine der ersten Anlagen für die Freunde des textilfreien Badens in Zentraleuropa eingerichtet.

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Die Ideologie der "Naturisten" und ihr Erscheinungsbild wurde von den unterschiedlichsten politischen und weltanschaulichen Richtungen beeinflusst – von bürgerlich-mondänen Strömungen ebenso wie von sozialdemokratisch-proletarischen bis hin zu völkisch-nationalen Gruppierungen.

Die Propagierung einer gesunden Lebensweise, die Förderung sportlicher Betätigung und der Verzicht auf gesellschaftliche Drogen gingen bereits damals auch mit Forderungen nach Umwelt- und Naturschutz einher.

Ihre Blütezeit erlebte die Freikörperkultur in den 1920er Jahren, als in den großen europäischen Städten, darunter auch in Wien, sogar die neuerrichteten Hallenbäder zu bestimmten Zeiten für FKK-Anhänger geöffnet wurden.

Großen Widerstand gegen die Mode des "schwedischen Badens" gab es natürlich von Seiten der katholischen Kirche. Ende der 1930er Jahre sorgten die Nationalsozialisten in Österreich für ein Ende der Duldsamkeit gegenüber den FKK-Anhängern – auch in den eigenen Reihen. Hermann Göring, der in der Nacktkultur eine der größten Gefahren für die deutsche Kultur und Sittlichkeit erblickte, verfügte, dass die Polizeibehörden alle Maßnahmen zu ergreifen hätten, um die sogenannte Nacktkultur "auszurotten". Später wurde versucht, die Freikörperkultur in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie zu stellen.

Nach Kriegsende kam es, besonders in den prüden 1950er Jahren, zu einer Neuauflage der behördlichen Schikanen gegen das "sittengefährdende" Nacktbaden. Heute hat die Freikörperkultur ihre ideologischen Ansätze größtenteils verloren und stellt in erster Linie eine Form des Badevergnügens in dafür reservierten Bädern oder Badebereichen dar.

Literatur: Fritz Keller, Lobau. Die Nackerten von Wien, 1985; Manfred Scheuch, Nackt - Kulturgeschichte eines Tabus, 2004.