Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!
Richard Berczeller wurde im ungarischen Sopron geboren. Nachdem seine Familie nach dem Sturz der Räteregierung im August 1919 Ungarn aus politischen Gründen verlassen musste, ließ sie sich zunächst in Wiener Neustadt und dann im burgenländischen Sauerbrunn nieder. Der Vater, Adolf Berczeller, der für die Ungarische Sozialdemokratische Partei aktiv gewesen war, beteiligte sich aktiv am Aufbau einer Verwaltung für das neue österreichische Bundesland.
Richard Berczeller begann 1920 mit dem Studium der Medizin an der Universität Wien. Sein einflussreichster Lehrer war Julius Tandler, seit 1920 Amtführender Stadtrat für Wohlfahrtsangelegenheiten, dessen Leitspruch Jedes Mitglied der menschlichen Gesellschaft hat einen Anspruch auf Hilfe, die menschliche Gesellschaft hat sie pflichtgemäß zu leisten, Berczellers Leben entscheidend prägen sollte.
Nach seiner Promotion ließ sich Richard Berczeller 1930 als praktischer Arzt in Mattersburg nieder. 1934 schloss er sich den illegalen Revolutionären Sozialisten an; unmittelbar nach dem "Anschluss" wurde er gemeinsam mit den meisten übrigen Mattersburger Juden verhaftet.
Es war am 11. März 1938, – ein Datum, das jeder, der es erlebt hat, nicht vergessen kann, – es war gegen Abend, als ich aus Forchtenau, wo ich Hausvisiten machte, nach Mattersburg in die Ordination zurückkam. Wir saßen beim Nachtmahl, das Radio spielte Musik, einer plötzlichen Stille folgte die Stimme von Bundeskanzler Schuschnigg: "Gott mit dir, mein Österreich" und gleich darauf das Horst-Wessel-Lied. Ich ging in meine Ordination und holte aus der Schreibtischlade meinen Reisepass und ein paar Schilling, die ich bereit hatte, sollte es zum "Anschluss" kommen. Ich nahm von meiner Familie Abschied und rannte zur Bahnstation. Dort warteten bereits zwei Gendarmen mit Hakenkreuz-Binden am Arm. Beide waren Patienten von mir. Der eine von Ihnen sagte: "Es tut mir leid, Herr Doktor, aber ich hab' den Befehl, sie zu verhaften." Sie brachten mich zum Bezirksgericht, in eine Zelle, wo bereits einige Juden waren. Nachdem ich dort unter grauenhaften Verhältnissen in Haft war, wurde ich mit der Warnung, jederzeit zur Verfügung stehen zu müssen, entlassen. Ich fuhr nach Wien, unter Bewachung von zwei SA-Leuten. Es dauerte eine relativ kurze Zeit, bis ich das Visum nach Frankreich erhielt, durch Intervention von Anna Freud und Prinzessin Marie Bonaparte. So begann mein Leben in der Fremde.
Über Frankreich und die Elfenbeinküste gelang Richard Berczeller im Jahr 1941 die Ausreise in die USA, wo er sich in New York eine neue Existenz als Arzt aufbaute.
In den 1960er Jahren verfasste Berczeller mehrere Bücher, darunter zwei Autobiographien; mehrere seiner Kurzgeschichten wurden auch in der Zeitschrift "New Yorker" veröffentlicht.
Werk: Time was. The zestful education of a young Viennese doctor in the years before the storm; a memory, 1971; ... mit Österreich verbunden. Burgenlandschicksal 1918–1945, 1975; Als Zaungäste der Politik – Österreichische Zeitgeschichte in Konfrontationen, 1977; Verweht, 1983.
Literatur: Traude Horvath (Hrsg.), Richard Berczeller, 1902–1994, 1996; Joachim Riedl (Hrsg.), "Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!", 1992; Adi Wimmer, Die Heimat wurde ihnen fremd, die Fremde nicht zur Heimat, 1993.