Glöckel, Otto

8.2.1874, Pottendorf (NÖ) – 23.7.1935, Wien

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Otto Glöckel besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Wiener Neustadt und war ab 1892 als Volksschullehrer auf der Schmelz tätig. 1894 trat er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei und schloss sich dem sozialdemokratischen Lehrerverein an, der sich um Karl Seitz und Paul Speiser gebildet hatte. 1897 heiratete er die Handarbeits- und Berufsschullehrerin Leopoldine von Pfaffinger; im selben Jahr wurde er wegen seiner sozialdemokratischen Gesinnung von Bürgermeister Lueger aus dem Schuldienst entlassen.

1907 wurde Otto Glöckel in den Reichsrat gewählt, dem er bis 1918 angehörte. Er gründete die Lehrergewerkschaft "Die Jungen" und legte in seinem Buch "Das Tor der Zukunft" bereits 1917 ein Schulreformprogramm vor, das er von 1918 bis 1920 in seiner Funktion als Unterstaatssekretär für Unterricht und von 1922 bis 1934 als Geschäftsführender Präsident des Wiener Stadtschulrates umzusetzen versuchte.

In seinem Erlass vom 22. April 1919 sichert er den Frauen den freien Zugang zu den Universitäten. Besondere Bedeutung hatte auch der sogenannte Glöckel-Erlass, mit dem die verpflichtende Beteiligung der SchülerInnen am Religionsunterricht sowie das tägliche Schulgebet abgeschafft wurden.

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Glöckels Schulreformen waren aufsehenerregend und modern; sie stellten dem geltenden autoritären Unterrichtsprinzip die Forderung nach freier Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes entgegen. Kinder, so Glöckels Überzeugung, sollten von klein auf zu Kritikfähigkeit und selbständigem Handeln erzogen werden.

Zur Überwindung der sozialen Chancenungleichheiten strebte Glöckel eine einheitliche Organisation des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens in den Stufen der Grundschule, der Allgemeinen Mittelschule und der Allgemeinbildenden Oberschule (Einheitsschule) an. Damit wollte der Reformer den Abbau von Bildungsbarrieren, die soziale Integration der Kinder und die Ausschaltung des seiner Ansicht nach schädlichen kirchlichen Einflusses erreichen.

Mit seinen Maßnahmen zur "inneren" Reform des Schulwesens, wie der Neuformulierung der Lehrpläne und der Modernisierung der Unterrichtsmethoden, der Herausgabe kindgemäßer Lehrbücher mit Hilfe des von der Stadt Wien gegründeten Verlages Jugend & Volk, der Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lehrmittel an den Pflichtschulen, der Einübung demokratischer Verhaltensmuster in den "Schulgemeinden", der Verbesserung der Lehreraus- und Fortbildung mit Hilfe des 1922 gegründeten "Pädagogischen Instituts der Stadt Wien", konnte Glöckel sich weitgehend durchsetzen.

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Teilweise erfolgreich war er bei seinen organisatorischen Reformen, wie z.B. bei der Umwandlung der Militärkadettenanstalten in Bundeserziehungsanstalten oder beim Ausbau des Sonderschulwesens in Wien.

Seine bis heute gültige Vision von der Verwirklichung der Einheitsschule aller Zehn- bis Vierzehnjährigen scheitete hingegen am Widerstand der Konservativen; immerhin trat 1927 an die Stelle der veralteten "Bürgerschule" die neue vierklassige "Hauptschule".

Glöckel war von 1918 bis 1920 auch Mitglied der Provisorischen bzw. Konstituierenden Nationalversammlung und von 1920 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat1934 wurde er für mehrere Monate in Haft genommen und kehrte als gebrochener Mann zurück.

Otto Glöckel ruht gemeinsam mit seiner Frau Leopoldine in einem Ehrengrab am Meidlinger Friedhof. An seinem Begräbnis nahmen tausende Trauergäste teil, die damit auch gegen die austrofaschistische Diktatur demonstrierten.

Am Palais Epstein, 1., Dr.-Karl-Renner-Ring 1, das in den Jahren 1870 bis 1873 nach Plänen von Theophil Hansen für den Bankier Gustav von Epstein errichtet, 1902 vom Staat für den Verwaltungsgerichtshof erworben worden und von 1922 (mit Unterbrechungen: 1938–1945 Bauamt, 1945–1955 Sowjetische Kommandantur) bis 2001 Sitz des Stadtschulrates für Wien war, wurde eine Gedenktafel für den großen Schulreformator Glöckel angebracht, der 1934 hier in seinem Büro verhaftet worden war. Eine weitere Gedenktafel befindet sich am früheren Wohnhaus Glöckels, 12., Gaudenzdorfer Gürtel 47.

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Die während Glöckels Amtszeit als Geschäftsführender Präsident des Stadtschulrates im Jahr 1933 errichtete Schule, 13., Veitingergasse 9, wurde 1946 Otto-Glöckel-Schule benannt. Die Schule galt mit ihren hellen Klassen und ihren großzügigen Grün- und Sportanlagen als die modernste Schule Österreichs. 1949 wurde in der Schule eine Otto Glöckel-Büste des Bildhauers Sepp Haberl enthüllt.

Der Otto-Glöckel-Weg in Donaustadt wurde 2002 nach dem Schulreformator benannt. Die Otto-Glöckel-Medaille der Stadt Wien wird auf Beschluss des Wiener Gemeinderates vom 22. Februar 1974 als äußeres Zeichen der Anerkennung und Würdigung an Personen verliehen, die sich durch außerordentliche pädagogische Leistungen im Schulwesen oder in der Jugend- und Erwachsenenbildung hervorragende Verdienste erworben haben.

Werk: Das Tor der Zukunft, 1917; Die österreichische Schulreform, 1923; Drillschule, Lernschule, Arbeitsschule, 1928; Otto Glöckel. Selbstbiographie, 1939. - Otto Glöckel. Ausgewählte Schriften und Reden, herausgegeben von Otto Achs, 1985.
Literatur: Oskar Achs und Albert Krassnigg, Drillschule, Lernschule, Arbeitsschule. Otto Glöckel und die österreichische Schulreform der Ersten Republik, 1974; Gretl Anzengruber, Otto Glöckel – Mythos und Wirklichkeit, 1985; Elisabeth Böhnel, Glöckels Konzept der Reform der Pflichtschullehrerausbildung – eine pädagogische Vision?, 1990.