Freie Gewerkschaften

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Die politische Organisation der Arbeiterschaft auf dem Parteitag von Hainfeld zum Jahreswechsel 1888/89 gab den Bestrebungen zur Gründung einer landesweiten sozialdemokratischen Gewerkschaftsorganisation einen entscheidenden Auftrieb – auch wenn dieser Prozess noch einige Jahre in Anspruch nehmen sollte.

1892 meldete der Jahresbericht der Polizei, dass es in Österreich neben einer großen Anzahl von selbständigen kleinen Gewerkschaftsvereinen bereits zehn gewerkschaftliche Zentralvereine gäbe. Im selben Jahr gründeten 194 "freie" sozialdemokratische Fachvereine die "Provisorische Kommission der Gewerkschaften Österreichs" – u.a. auch, um die Vertretung Österreichs auf internationalen Kongressen besser koordinieren zu können.

Im Dezember 1893 fand in Wien schließlich der erste Gewerkschaftskongress statt, bei dem jene 194 selbstständigen Gewerkschaften mit insgesamt etwa 50.000 Mitgliedern vertreten waren. Einige dieser gewerkschaftlichen Vereine waren noch bloße Orts- oder Bezirksgruppen, viele besaßen jedoch bereits den Status einer Kronlandgruppe.

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Die auf diesem Kongress beschlossene Gründung einer Gewerkschaftskommission, die zunächst bloß ein Koordinierungsorgan und eine Art von loser Dachorganisation war, bildete den ersten Schritt zur inneren Konzentration der österreichischen Gewerkschaftsbewegung.

Zunächst schien eine einheitliche Vorgehensweise wegen der Zersplitterung der Gewerkschaften, ihrem sehr unterschiedlichen Organisationsgrad und der zahlreichen Sonderprobleme nahezu unmöglich. Der Übergang vom Hochkapitalismus zum Monopolkapitalismus, die zunehmende Konzentration der Arbeitskraft, aber auch die Tatsache, dass die Unternehmer sich bereits zu Verbänden zusammengeschlossen hatten, verstärkten jedoch die Einsicht, dass die Gewerkschaften ohne eine starke und einheitliche Organisation hilflos bleiben würden.

Die zahlreichen kleinen und größeren Streiks, die wegen der leeren Streikkassen und der Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung meist nach kurzer Zeit in sich zusammenbrachen, stellten die Gewerkschaftskommission vor ein großes Problem. Das für die Unterstützung der Streikenden notwendige Geld wurde mittels Streikblocks gesammelt, doch kaum war eine Streikaktion beendet, brach schon ein neuer Streik aus, und die "Bettelei" wollte kein Ende nehmen. Im Jahr 1894 wurde deshalb ein "Streikreglement" eingeführt, das etwas Ordnung in das Unterstützungswesen brachte.

Einer Zählung aus dem Jahre 1895 zufolge waren in der Monarchie zum damaligen Zeitpunkt insgesamt 6,563.329 Arbeiter und Angestellte in Industrie und Gewerbe beschäftigt; davon waren nur 88.818, also 1,35%, organisiert. Unter Anton Hueber, der das Sekretariat der Gewerkschaftskommission im selben Jahr übernahm, erlebte die Gewerkschaftsbewegung einen unerhörten Aufschwung. 1896 zählten die freien Gewerkschaften, die mehr als zwei Drittel der organisierten Arbeitnehmer erfassten, bereits 133.000 Mitglieder – darunter 5.000 Frauen –, und bis 1906 wuchs die freie Gewerkschaftsbewegung auf eine halbe Million Mitglieder an.

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Nach einer raschen Lösung verlangte auch das sogenannte Frauenproblem. Viele Unternehmer waren dazu übergegangen, Frauen als Arbeitskräfte anzustellen, weil diese billiger und auch williger waren, unter den schlechten Bedingungen zu arbeiten. Die männlichen Kollegen sahen in diesen Arbeiterinnen in erster Linie Lohndrückerinnen. Anna Boschek, die in den 1890er Jahren ihre Tätigkeit in der Gewerkschaftskommission aufnahm, gelang es schließlich, immer mehr Frauen zur Gewerkschaft zu bringen und das "Lohndumping" zu unterlaufen.

Seit dem 15. Juni 1896 gab die Gewerkschaftskommission auch das monatliche Gewerkschaftsorgan "Die Gewerkschaft" heraus, das zu Beginn ein bloßes Korrespondenzorgan für die Vertrauensleute der Organisation war; noch gab es 33 verschiedene gewerkschaftliche Fachblätter mit einer Durchschnittsauflage von etwa 120 Exemplaren, 19 davon in deutscher, 12 in tschechischer und 2 in slowenischer Sprache.

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Ab 1900 organisierten die freien Gewerkschaften zur Durchsetzung ihrer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mehrere große Streiks und schlossen zunehmend Kollektivverträge ab, denen allerdings noch die gesetzliche Basis fehlte; ihr Einfluss auf die Wirtschaftspolitik blieb alles in allem gering.

Der Ausnahmezustand während des Ersten Weltkriegs erschwerte die Tätigkeit der Gewerkschaften erheblich. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie erlebte die Gewerkschaftsbewegung allerdings einen gewaltigen Auftrieb: 1921 erreichten die freien Gewerkschaften mit 1,079.777 Mitgliedern ihren Höchststand.

In der kurzen Zeit der Koalitionsregierung nach der Gründung der Ersten Republik entstand eine vorbildliche moderne Sozialgesetzgebung mit Arbeitszeitbegrenzung, Sozialversicherung, Einführung von Betriebsräten und Arbeiterschutz; allerdings ging diese Periode der wegweisenden Reformen bereits 1920 wieder zu Ende. Nun galt es in erster Linie, das bereits Erreichte zu verteidigen.

Der Zehnte Gewerkschaftskongress beschloss im Jahr 1928 die wirksamere Zusammenfassung aller sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften. Der neu gegründete und nach dem Industriegruppenprinzip organisierte Bund freier Gewerkschaften in Österreich umfasste 38 Gewerkschaften und sieben lokale Gewerkschaftsvereine mit zusammen 655.000 Mitgliedern. Sein Sitz befand sich in der Ebendorferstraße 7. Vorsitzender wurde Anton Hueber, der am Zusammenschluss der "freien" Einzelgewerkschaften entscheidend beteiligt war.

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Als Antwort darauf wurden noch im selben Jahr in Leoben die "Unabhängigen" oder auch "Gelben Gewerkschaften" gegründet, die den Heimwehren nahestanden, von der "Oesterreichischen-Alpinen Montangesellschaft" und anderen Unternehmern gefördert wurden und auf Kampfmaßnahmen grundsätzlich verzichteten.

Parallel dazu existierten die von der konservativen Regierung unterstützten christlichen Gewerkschaften, die 1920 noch etwa 65.000 Mitglieder zählten, deren Mitgliederstand sich allerdings bis 1932 verdoppelte, während jener der "Freien Gewerkschaften" auf etwa 520.000 zurückging. Weiters bestanden deutschnationale Gewerkschaften (etwa 50.000 Mitglieder), die kommunistische "Rote Gewerkschafts-Opposition" (RGO-Zellen) und, in Ansätzen, nationalsozialistische Betriebszellenorganisationen.

Im Februar 1934 wurden die "Freien Gewerkschaften" aufgelöst und schon im März wurde der "Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten" als öffentlich-rechtliche Einrichtung geschaffen. Die neue, autoritär geführte Einheitsgewerkschaft erhielt das gesamte konfiszierte Vermögen der "Freien Gewerkschaften" und zählte Ende des Jahres 1936 368.000 Mitglieder; sie besaß zwar ein gewisses Mitspracherecht bei der Arbeitsvermittlung, verfügte allerdings nur über eine sehr eingeschränkte Selbstverwaltung.

Aktivisten der verbotenen sozialdemokratischen Gewerkschaften bildeten am 18. Februar 1934 bei einer Zusammenkunft in einem Gasthaus in der Nattergasse in Hernals eine illegale Gewerkschaftsführung, die das "Siebenerkomitee" genannt wurde, weil an eine Zusammenfassung in 7 Fachgewerkschaften gedacht war. Daneben entstanden noch eine weitere illegale Zentrale, die sich "Wiederaufbaukommission" nannte, und ein Auslandszentrum in Bratislawa. Ein ständiges Diskussions- und Streitthema innerhalb der illegalen Gewerkschaften war, ob man in den regierungstreuen Gewerkschaftsorganisationen mitarbeiten solle oder nicht – einerseits könnte man durch eine Mitarbeit die Interessen der Arbeitnehmer vertreten, andererseits würde dies zur Festigung des Regimes beitragen...

Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten wurde der Gewerkschaftsbund aufgelöst und seine Mitglieder wurden der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF), einer gemeinsamen Organisation von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, eingegliedert. In den nationalsozialistischen Gefängnissen und der Illegalität kam es schließlich zur Begegnung der bis dahin verfeindeten sozialdemokratischen und konservativen Gewerkschafter; dabei wurde die Basis für die Schaffung einer einheitlichen demokratischen Gewerkschaftsorganisation nach dem Krieg gelegt.

Nach Kriegsende wurde das beschlagnahmte Vermögen der "Freien Gewerkschaften" an die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter im Rahmen des neuen Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) zurückgestellt.

Literatur: Dietmar Bruckmayr, Österreichs Freie Gewerkschaften im Widerstand. Illegale Aktivitäten zwischen 1934 und 1945, 1992; Anneliese Frank, Die wirtschaftspolitischen Leitvorstellungen der freien Gewerkschaften in der Zwischenkriegszeit, 1985; Walter Göhring, Die Gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit, 1998; Otto Leichter, Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund, 1963; Carina Lukasser, Frauen in den freien Gewerkschaften Österreichs. Ihre Stellung und Bedeutung von 1918 bis 1932, 2002; Ulrike Weber-Felber, Wege aus der Krise: Freie Gewerkschaften und Wirtschaftspolitik in der Ersten Republik, 1990.